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Das nasse Grab

Das nasse Grab

Titel: Das nasse Grab
Autoren: Horst Hoffmann
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einige Male schnell hintereinander, und er fühlte sich wie von etwas befreit, das seinen Schädel hatte zusammendrücken wollen. Die tote Lumenia stieg! Sie trieb nach oben!
    Und kein Meeresungeheuer griff mit Waffen an, an deren Spitzen Widerhaken aus Fischknochen saßen. Das mußten Harpunen sein, Lanzen. Wo sie eingedrungen waren, rann Wasser in die Kammer. Es konnte nicht mehr lange dauern, und der Wasserdruck von außen mußte sie sprengen.
    Mythor hatte Mühe seine Gedanken zu ordnen. Die Luft verschlechterte sich jetzt zunehmend. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis die Gefährten nicht mehr atmen konnten.
    Sie mußten heraus, aber wer erwartete sie dort?
    Nicht nur Mythor dachte in diesen Augenblicken an das, was Kalisse noch gesagt hatte, als sie vom Nassen Grab sprach – an das geheimnisvolle Meervolk, das in diesen Gewässern alten Legenden zufolge noch leben sollte, an ein vor langer Zeit versunkenes, mächtiges Reich Singara.
    »Es ist ruhig geworden«, flüsterte Scida.
    Ruhig bis auf fernes Rauschen und andere, schwer zu deutende Geräusche. Doch nichts schlug mehr gegen den Pflanzenstock. Kein Ächzen kündete mehr davon, daß jemand versuchte, ihn auseinanderzubrechen. Der Boden schwankte nach wie vor unter den Füßen der Eingeschlossenen. Die Harpunenspitzen wurden nicht aus der Wand gezogen. Sie staken darin, als gehörten sie in sie hinein.
    Und kein Wasser drang mehr ein.
    Eine verzweifelte Hoffnung keimte in Mythor auf.
    Diese Laute – waren sie nicht wie das Plätschern von Wellen? Schwankte der Boden nicht wie der eines Bootes auf dem Meer?
    Mythor zögerte nun nicht mehr länger. Schon spürte er, wie die Kraft aus ihm zu schwinden drohte. Bei jeder heftigeren Bewegung sah er viele helle Pünktchen vor den Augen tanzen. Er steckte Alton in die Scheide zurück und griff mit beiden Händen unter den Riegel. Gerrek war plötzlich bei ihm und half mit, das schwere Holz in die Höhe zu schieben, bis es polternd zu Boden fiel.
    Mythor hielt den Atem an, stemmte sich mit den Schultern gegen die Tür, um dem Wasserdruck von außen Widerstand zu leisten, falls seine Hoffnungen ihn trogen.
    Er wurde nicht davongeschleudert. Nur wenig Salzwasser drang schäumend durch den winzigen Spalt, den die Tür sich nach innen geöffnet hatte. Mythor schrie vor Erleichterung auf und riß sie ganz zurück.
    Er blickte in einen klaren Himmel, an dem nur wenige Wolken zu sehen waren.
    Gerrek stand neben ihm, hielt sich mit einer Hand am Rahmen fest, während er in der anderen wieder die Zauberflöte hatte.
    »Oh, großes Wunder!« rief er begeistert aus. »Wir sind frei, und ich allein habe das vollbracht – nur mit meinem Flötenspiel!«
    Völlig unrecht hatte er damit nicht. Aber das sollte sich erst viel später herausstellen.
*
    Ein etwa zwanzig Fuß großer Teil des Pflanzenstocks der toten Lumenia trieb ruhig auf der Meeresoberfläche, die von einem leichten Wind aus dem Norden gekräuselt wurde.
    Besser gesagt: Der Pflanzenstock wurde gezogen.
    Das Stück, das jene Unbekannten aus der Lumenia herausgebrochen hatten, die ihre drei Harpunen in den Wänden steckengelassen hatten, befand sich im Schlepptau von drei langen, schmalen Booten aus Fischhaut und Gräten. Vergeblich suchte Mythor, Einzelheiten zu erkennen. Keiner der Fremden drehte sich um. In jedem Boot saßen sechs dieser unheimlichen, schweigenden Gestalten. Die Seile, die an dem Lumenia-Bruchstück befestigt waren, hatten eine Länge von gut hundert Schritt.
    Mythor lag flach auf dem schwimmenden Pflanzenteil. Scida, Kalisse und Gerrek waren seinem Beispiel gefolgt und an dem nassen, schlüpfrigen Holz hochgeklettert. Gerrek hatte die Angst vor dem Wasser Flügel verliehen.
    Sie lagen oder saßen dicht beieinander und atmeten die reine, würzige Seeluft. In der Ferne schrien Seevögel, und voraus waren die Umrisse einer kleinen Insel zu sehen.
    »Das muß Nida sein«, murmelte Kalisse. Ihre Eisenfaust blitzte in der Sonne. »Wenn wir im Nassen Grab sind und von Nordosten her hierhingetrieben wurden, kann dies nur Nida sein.«
    »Im Nassen Grab!« Scida bedachte sie mit grimmigen Blicken. »Wer sagt, daß wir dort sind? Wem willst du mit deinen Spukgeschichten Angst einjagen?«
    »Es gibt weit und breit keine anderen Inseln als die des Nassen Grabes«, sagte die Amazone der Zahda ungerührt. »Ganz gleich, in welche Richtung es uns getrieben hat. Und nirgendwo auf der Lichtwelt gibt es ein Meervolk – außer im Nassen Grab.«
    Sie drehte sich
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