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Das Multiversum Omnibus

Das Multiversum Omnibus

Titel: Das Multiversum Omnibus
Autoren: Stephen Baxter
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Jetzt.
    Nemoto war natürlich nicht so bescheiden.
    Selbst in den dunkelsten Zeiten der Langen Nacht wuselte Nemoto hektisch in der Höhle herum und fertigte unablässig ihre unbegreiflichen Gegenstände an. Nur wenige sahen sie kommen 642
    und gehen. Für die jüngeren Leute war Nemoto schon ihr ganzes Leben da gewesen; sie war eigentlich gar keine Person und deshalb ohne Bedeutung.
    Aber Mary erinnerte sich an den Roten Mond und wie er von Skinnies wie Nemoto gewimmelt hatte. Mary verstand. Nemoto hatte sie hierher gebracht, heim zur Grauen Erde. Nun war es Nemoto, die fern der Heimat gestrandet war.
    Und so nahm Mary sich Nemotos an. Sie beschützte Nemoto, wenn sie krank wurde oder sich verletzte. Sie gab ihr sogar von ihrem Fleisch zu essen, wobei sie das tief gefrorene Fleisch im Mund auftaute und mit den kräftigen Kiefern vorkaute, wie wenn sie ein Kind fütterte.
    Doch eines Tages spuckte Nemoto das Fleisch auf den Boden der Höhle. Sie tobte und zeterte in ihrer unverständlichen Skinny-Sprache. Dann zog sie sich ihre Pelze an, suchte die Werkzeuge zusammen und stapfte aus der Höhle.
    Sie kehrte stolpernd und lachend zurück, und sie trug ein Bündel unterm Arm. Es war eine schlafende Fledermaus, die reichlich Winterspeck angesetzt und die lederigen Flügel zusammengefaltet hatte. Nemoto plapperte, wie gut ihr das frische Fleisch schmecken würde.
    Nemoto verzehrte die Fledermaus und gab den Kindern warme Brocken ab. Als sie ihnen aber die aufgedunsenen, rosig-grauen inneren Organe der Fledermaus anbot, zogen die Mütter ihre Kinder weg.
    Danach sollte Nemoto nie mehr gesund werden.
    Es brach eine Zeit des Zwielichts an, wo das Rosa eine blau-purpurne Note bekam. Und dann schob sich schließlich der Rand der Sonne über den Horizont: Nur eine Sichel, aber es war das erste Mal seit achtundsechzig Tagen, dass sie sich überhaupt gezeigt hatte. Es gab schon etwas Schmelzwasser. Und die ersten Tiere – Vö-
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    gel und ein paar große Ratten – erwachten aus dem Winterschlaf und regten sich. In diesem trägen Dämmerzustand waren sie eine leichte Beute.
    Die Leute gerieten vor Freude aus dem Häuschen und schüttelten die Felle ab.
    Nemoto ging es zusehends schlechter. Sie bekam starken Durchfall und musste sich übergeben. Sie verlor Gewicht. Und die Haut wurde wund und schuppte ab.
    Mary versuchte den Durchfall zu behandeln. Sie gab ihr Salzwasser zu trinken – Meerwasser, das sie mit Schmelzwasser verdünnt hatte. Aber sie wusste nicht, wie sie die Vergiftung behandeln sollte, die von Nemoto Besitz ergriff.
    Die Tage wurden schnell länger. Das Eis auf den Seen und Flüssen schmolz und bildete in der Landschaft splitternde Barrieren wie nach einer Explosion. In diesem kurzen gemäßigten Intervall zwischen tödlicher Kälte und unerträglicher Hitze blühte das Leben auf. Die Leute sammelten die Früchte und Schösslinge, die förmlich aus dem Boden zu schießen schienen. Sie jagten die kleinen Tiere und Vögel, die aus dem Winterschlaf erwachten.
    Und bald rollte ein ferner Donner übers Land. Es war der Klang von Hufen, der ersten wandernden Herde. Die Männer und Frauen bewaffneten sich und brachen zum Meer auf.
    Sie sahen eine Herde großer, langbeiniger Antilopen vor sich: Die Böcke trugen ein prächtiges, vielendiges Geweih. Die Tiere waren schlank und hatten muskulöse Beine. Und sie liefen wie der Wind. Weil diese gekippte Welt beim Wechsel zwischen den langen Jahreszeiten fast übergangslos in eisiger Kälte erstarrte oder von der Sonne durchglüht wurde, mussten wandernde Tiere über Tausende von Meilen ziehen und auf der Suche nach Nahrung, Wasser und gemäßigten Klimazonen ganze Kontinente durchqueren.
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    Aber es traten auch Räuber auf den Plan, Hyänen und Raubkat-zen, die die großen Herden belauerten. Zu diesen Räubern zählten auch die Leute, die eine Landenge zwischen zwei Kontinenten be-wohnten. Diese Landenge war ein Engpass, durch den die wandernden Herden hindurch mussten.
    Die Antilopenherde war riesig. Aber sie bewegte sich so schnell, dass sie in ein paar Tagen durchgezogen wäre wie ein mächtiger Quell aus Fleisch, der plötzlich versiegte.
    Die Leute labten sich am Fleisch, sogen das Mark aus den Knochen und warteten darauf, dass Nachschub von den Gezeiten der Welt geliefert wurde.
    Es wurde immer wärmer. Bald starben die schnell wachsenden Gräser und Kräuter ab, und die wandernden Tiere und Zugvögel flohen zu den gemäßigten Breiten.
    Der letzte Regen der
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