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Das Möwennest (Het Meeuwennest) (German Edition)

Das Möwennest (Het Meeuwennest) (German Edition)

Titel: Das Möwennest (Het Meeuwennest) (German Edition)
Autoren: Christian Biesenbach
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verschwamm die Umgebung. Seine Bewegungen wurden bereits unkoordinierter, langsamer, schwächer. Er versuchte mit den Händen Sems Gesicht zu erwischen, konnte es allerdings nicht mehr sehen.
    „Wieso tust du das?“, versuchte er zu fragen, während er langsam das Bewusstsein verlor. Sem gab ihm keine Antwort. Harry hörte ihn nur noch aus weiter Ferne triumphierend kreischen: „So ist gut, Harry. Bleibst hier! Passt auf!“.
     
    ***
     
    Sem musste kurz darauf losgelassen haben, denn Harry spürte, dass er fiel. Er fiel und fiel und war dankbar dafür, dass der Druck an seinem Hals nachgelassen hatte. Luft strömte durch seinen Mund. Kurze heftige Atemstöße folgten. 
    Es war, als dauerte es eine Ewigkeit, bis sein Kopf endlich auf den Dielen aufschlug. Ein harter ungebremster Aufschlag. Blut sickerte aus seiner verkrusteten Platzwunde an der Stirn. Es lief ihm ungehindert übers Gesicht.
    Unfähig sich zu bewegen blieb Harry liegen. Für Minuten spürte er nur noch seinen brennenden Brustkorb, der sich krampfartig auf und ab bewegte. Alles drehte sich. Oben war unten, links war rechts. Er lag auf dem Bauch und auf dem Rücken. Schwebte im Raum. Hing an der Decke. Klebte am Fußboden. Drehte sich hin und her. Wurde geschoben und gezerrt.
    „Bleibst im Meeuwennest “, wisperte es immer wieder in seinen Ohren. „Bleibst hier.“
     
    ***
     
    Als er wenig später wieder zu sich kam, war Sem verschwunden. Benommen versuchte sich Harry aufzurappeln. Der Rucksack wog schwer auf seinem Rücken und zog ihn zurück zu Boden. Er legte ihn ab. Es befand sich nichts Hilfreiches mehr darin.
    Durch die innersten Streben des Restaurants lief ein Schaudern. Als sei sie von einem starken Seebeben betroffen, wankte die ganze Konstruktion.
    Um Harry herum zerbrachen die letzten intakten Dielen. Weitere Teile der noch vorhandenen Decke stürzten herab und trafen ihn. Trotzdem gelang es ihm unter Mobilisierung seiner letzten Kräfte auf die Beine zu gelangen.
    Das Gebäude befand sich in den letzten Zügen seines Todeskampfes gegen die Naturgewalten und es würde diesen Kampf bald verlieren. Der gesamte Raum schien sich in diesen Sekunden um Zentimeter zu verbiegen.
    Die Flügel der Küchentür wölbten sich ihm entgegen. Instinktiv wich Harry soweit er noch konnte zurück, dann flogen die Türelemente dröhnend auseinander. Diagonal von oben nach unten zerbarst das edle Hartholz. Tausende Splitter flogen durch die Luft. Einige erwischten Harry im Gesicht. Er trug Kratzer davon, die er in dieser Situation jedoch kaum spürte. Unverhofft war etwas geschehen, das er nicht für möglich gehalten hatte. Der Weg war frei. Vor sich breitete sich eine - vielleicht seine letzte - Fluchtmöglichkeit aus. Daran hatte wirklich nur noch ein Verrückter glauben können. Und doch war das die Realität. Sie lag vor ihm, keine zwei Meter entfernt.
    Er stürzte voran. Durch die Küche hinein in die Vorratskammer. Dort stemmte er die Falltür auf und setzte beide Füße auf die Leiter. Er kümmerte sich nicht länger darum, wo Sem war, oder dass jeder Muskel in seinem Körper brannte. Dies war seine vielleicht letzte Chance hier herauszukommen.
    Die falsche Schlange hat mich das letzte Mal hinters Licht geführt. Soll er doch hier verrecken, dachte Harry, als er sich Sprosse um Sprosse dem Anleger näherte. Gleichzeitig wusste er, dass er sich beeilen musste. Niemand konnte ausschließen, dass der Kerl nicht doch noch einmal auftauchte, oder dass das Gebäude im nächsten Moment in sich zusammensackte.Jede Sekunde zählte. Mühsam setzte er auf der Leiter einen Fuß unter den anderen. Von den schwarzen Möwen war nichts zu sehen. Mittlerweile schien alles Leben aus dem Restaurant gewichen zu sein.
     
    ***
     
    Harry erreichte das Ausstiegsbrett. Das Boot lag mittlerweile einen knappen Meter unterhalb des Brettes im Wasser. Sie hatten sich lange im Möwennest aufgehalten. Die Ebbe hatte vor Stunden wieder eingesetzt, aber es war noch genug Wasser dort, um über die Trümmer hinweg entkommen zu können. Schwerfällig ließ er sich ins Boot hinab. Stieß mit dem verletzten Fuß gegen die Bordwand und schrie vor Schmerz.
    „ Argh !“
    Für Sekunden wurde ihm ganz schummrig und schwarz vor Augen.
    Das fehlt mir gerade noch, so kurz vorm Ziel das Bewusstsein zu verlieren . Aber nicht mit mir.  
    „Harry! Warte!“, hörte er eine Stimme von oben flehen. Langsam hob sich der dunkle Schleier vor seinen Augen. Er sah hinauf. Das Herz begann heftig
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