Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Mittelmeer: Eine Biographie (German Edition)

Das Mittelmeer: Eine Biographie (German Edition)

Titel: Das Mittelmeer: Eine Biographie (German Edition)
Autoren: David Abulafia
Vom Netzwerk:
demonstrieren: bei den Marranen und Morisken, den Juden und Muslimen, die privat an ihrem alten Glauben festhalten mochten oder nicht, während sie sich öffentlich zum Katholizismus bekennen mussten. Der Aufstieg der sephardischen Kaufleute im Mittelmeerraum der frühen Neuzeit ist in jeder Hinsicht erstaunlich, vor allem ihre Fähigkeit, unterschiedliche Identitäten anzunehmen, um als »Portugiesen« auf die Iberische Halbinsel reisen und als Juden in Livorno oder Ancona leben zu können – eine Fähigkeit, kulturelle, religiöse oder politische Grenzen zu überschreiten, die an ihre Vorläufer in der Geniza von Kairo fünf Jahrhunderte zuvor erinnert. Diese multiple Identität ist der Extremfall eines im Mittelmeerraum weiter verbreiteten Phänomens: Es gab Orte, an denen Kulturen einander begegneten und sich miteinander vermischten, aber es gab auch einzelne Menschen, in denen verschiedene Identitäten zusammenkamen und sich miteinander vermischten, und das oft nicht ohne Probleme.
    Es gibt eine verständliche Neigung, diese Orte der Begegnung im Mittelmeerraum zu romantisieren, doch auch die dunkleren Realitäten, die solche Kontakte zum Beispiel in der frühen Neuzeit kennzeichneten, sollten nicht übersehen werden: der Aufstieg der nordafrikanischen Korsaren zwischen dem 15 . und dem frühen 19 . Jahrhundert und die enge Verbindung zwischen Piraterie und Handel. Vor dem endgültigen Sieg über die Korsaren war das Mittelmeer nur einmal wirklich frei von den Gefahren der Seeräuberei gewesen, nämlich während des Römischen Kaiserreichs, als Rom nahezu alle Küsten und Inseln des Mittelmeeres beherrschte. Zugleich bot die Piraterie aber auch die außergewöhnlichsten Beispiele gemischter Identität: Korsaren aus fernen Ländern wie Schottland und England, die zumindest nach außen den Islam annahmen und Jagd auf Schiffe jener Länder machten, aus denen sie selbst kamen. Zu dieser dunkleren Seite der Geschichte des Mittelmeeres gehört auch die bereits erwähnte Geschichte der von Piraten erbeuteten männlichen und weiblichen Gefangenen und Sklaven, wenngleich auch sie – wie etwa der Geschichtsschreiber Polybios – eine bedeutsame Rolle in der kulturellen Begegnung zwischen den entgegengesetzten Küsten des Mittelmeeres spielen konnten.
    Die Einheit der Geschichte des Mittelmeeres liegt daher paradoxerweise in ihrer schwindelerregenden Veränderlichkeit, in den Diasporagemeinschaften der Kaufleute und Exilanten, in den Menschen, die versuchten, dieses Meer möglichst schnell zu überqueren und nur kurz darauf zu verweilen, vor allem im Winter, wenn Seereisen gefährlich waren, wie wir bei den leidensfähigen Pilgern Ibn Dschubair und Felix Fabri gesehen haben. Die einander gegenüberliegenden Küsten sind nahe genug beieinander, um leichte Kontakte zu ermöglichen, und weit genug voneinander entfernt, um es den Gesellschaften zu erlauben, sich auf eigene Weise unter dem Einfluss ihres Hinterlandes und der übrigen Anrainer zu entwickeln. Die Menschen, die das Meer befahren, sind oft nicht gerade typisch für die Gesellschaften, aus denen sie kommen. Sie sind zwar keine Außenseiter, wenn sie sich auf den Weg machen, aber sie werden leicht zu solchen, wenn sie jenseits des Meeres in fremde Gesellschaften gelangen, ob nun als Händler, als Sklaven oder als Pilger. Doch ihre Anwesenheit vermag diese fremden Gesellschaften zu verändern und etwas von der Kultur des einen Kontinents in einen anderen zu bringen, zumindest an dessen Rändern. So wurde der Mittelmeerraum zu der Region, in der es zu den weltweit wohl intensivsten Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Gesellschaften kam. Und in der Geschichte der menschlichen Zivilisation spielte das Mittelmeer eine größere Rolle als jedes andere Meer.

Zur weiteren Lektüre
    Eine auf diesem Buch basierende Bibliographie wäre riesig und formlos. Deshalb möchte ich hier lediglich einige Werke nennen, die das Mittelmeer als Ganzes behandeln, wenn auch meist eher die Länder in seinem Umkreis als das Meer selbst. Peregrine Hordens und Nicholas Purcells
The Corrupting Sea. A Study of Mediterranean History
, Oxford 2000 , ist der erste Teil einer ehrgeizigen und vielseitigen Darstellung der Örtlichkeiten rund ums Mittelmeer und ihrer Interaktion. Im Zentrum stehen Antike und frühes Mittelalter. Eine wertvolle, von William Harris herausgegebene Aufsatzsammlung diskutiert deren Thesen:
Rethinking the Mediterranean
, Oxford 2005 . Fernand Braudels
La Méditerranée
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher