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Das Mittelmeer: Eine Biographie (German Edition)

Das Mittelmeer: Eine Biographie (German Edition)

Titel: Das Mittelmeer: Eine Biographie (German Edition)
Autoren: David Abulafia
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sie dort wahrscheinlich größere Wertschätzung genossen als in ihrer Heimat, wo jeder von ihnen nur einer von vielen war.
    Auch in späteren Jahrhunderten finden sich erstaunliche Parallelen. Ausländische Kaufleute sind ein offenkundiges Merkmal des mittelalterlichen Mittelmeerraums, in dem uns das verwirrende Phänomen des gettoisierten Händlers begegnet, der islamische oder byzantinische Länder besucht, eingeschlossen in eine Herberge oder einen Fonduk, die zugleich als Lagerhaus, als Kapelle, als Backhaus und als Badehaus dienten, mit jeweils eigenen Herbergen für jede größere »Nation«: Genueser, Venezianer, Katalanen und so weiter. Die Befürchtung, diese Kaufleute könnten zu Quellen religiöser Kontaminierung und politischer Subversion werden, veranlasste die Herrscher Ägyptens, die Tore dieser Herbergen nachts zu verschließen (wobei die Schlüssel von Muslimen außerhalb der Herberge aufbewahrt wurden). Das stärkte indessen nur die Solidarität und das Gemeinschaftsgefühl dieser Kaufleute, betonte zugleich aber auch die Unterschiede zwischen den verschiedenen Gruppen unter den Italienern und Katalanen, deren Rivalität muslimische Emire für ihre Zwecke zu nutzen verstanden. Auch die Byzantiner sonderten italienische Kaufleute im 12 . Jahrhundert in einem von Mauern umgebenen Komplex ab und schürten die Fremdenfeindlichkeit in ihrer Hauptstadt, mit der hässlichen Folge antilateinischer Pogrome. Die Idee, gesonderte Gemeinschaften hinter Mauern einzuschließen, war also nicht sonderlich neu, als der König von Aragón um 1300 erstmals die mallorquinischen Juden segregierte, und sie war sogar schon recht alt, als die venezianische Regierung die Juden 1516 im
Ghetto nuovo
einschloss. Die Kaufmannsgemeinschaften boten ein brauchbares Modell für das Getto. Die abgeschlossenen Areale, ob nun für Juden oder für europäische Kaufleute, waren Orte, an denen gewisse Privilegien – Selbstverwaltung, freie Ausübung der Religion, Steuerbefreiungen – ihr Gegengewicht in Einschränkungen fanden: in der Beschränkung der Bewegungsfreiheit und in der Abhängigkeit von oftmals launenhaften staatlichen Behörden, auf deren Schutz sie angewiesen waren.
    Von den Juden sprechen heißt von Händlern sprechen, die eine ungewöhnliche Fähigkeit besaßen, die Grenzen zwischen den Kulturen zu überschreiten, ob nun in der Frühzeit des Islam, zu Zeiten des Aufstiegs der Geniza-Juden in Kairo mit ihren Verbindungen im Mittelmeerraum und darüber hinaus oder in der Zeit der kommerziellen Expansion in Katalonien. Damals konnten die Juden ihre familiären und geschäftlichen Beziehungen zu Glaubensbrüdern nutzen, um tief in die Sahara einzudringen auf der Suche nach Gold, Pfauenfedern und anderen afrikanischen Erzeugnissen, zu denen ihre christlichen Landsleute keinen Zugang hatten, weil sie immer noch in ihren Handelsniederlassungen eingeschlossen waren. Die Prominenz und Mobilität dieser Minderheit ist verblüffend. Die jüdischen Kaufleute konnten Informationen aus der Welt jenseits der Mittelmeerhäfen mitbringen, die dann in den bemerkenswerten, auf dem mittelalterlichen Mallorca hergestellten Portolanen und Weltkarten aufgezeichnet und im gesamten europäischen Mittelmeerraum und darüber hinaus verbreitet wurden. Wie die Kaufleute umherreisten, so fanden auch Informationen über die physische Welt ihren Weg.
    Wer das Mittelmeer als »gläubiges Meer« begreifen möchte, wie es im Titel einer kürzlich erschienenen Aufsatzsammlung heißt, der muss berücksichtigen, dass nicht nur arme und namenlose Pilger über dieses Meer fuhren, sondern auch charismatische Missionare wie Ramon Llull, der 1316 starb, nachdem er in Hunderten von Büchern und Pamphleten dargelegt hatte, wie man Muslime, Juden und Griechen zum wahren Glauben bekehren konnte, ohne dass er allerdings jemals selbst irgendjemanden bekehrte. [1793] Llulls Laufbahn erinnert uns jedoch daran, dass religiöse Reibungen und Konflikte nur einen Teil des Bildes ausmachen. Er imitierte Sufi-Gedichte und verkehrte gerne mit Kabbalisten. Er war zugleich ein eifriger Missionar und ein Anhänger der altmodischen iberischen
convivencia
, und er erkannte im Gott der drei abrahamitischen Religionen ein und denselben Gott. Eine ganz andere Art von
convivencia
existierte in den Köpfen der Mitglieder jener religiösen Gemeinschaften, die vertrieben oder zur Konversion gezwungen wurden, als Spanien sich 1492 und danach bemühte, seine katholische Identität zu
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