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Das Ministerium der Schmerzen (German Edition)

Das Ministerium der Schmerzen (German Edition)

Titel: Das Ministerium der Schmerzen (German Edition)
Autoren: Dubravka Ugresic
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einer inneren Leichtigkeit die virtuellen Treppen hoch, öffnete und schloss virtuelle Türen, verließ die Räume des Hauses durch einen einfachen Mausklick. Meine Angst hatte sich irgendwohin verzogen. Ich war frei.
Escape
stand mir immer als Option zur Verfügung.
    Ich rief auch das Haager Tribunal auf, so klein wie eine Streichholzschachtel, auch die winzigen Richter in ihren Roben, die winzigen Angeklagten und Zeugen, die winzigen Verteidiger und Ankläger. Diese Mini-Surrogate simulierten ein Leben, in dem es Schuld und Unschuld gab. In Wirklichkeit gibt es weder Schuldige noch Unschuldige, weder Böse noch Gute. Es gibt nur die Mechanik, ihr Funktionieren. Das einzig Wichtige ist die Bewegung, die Bewegung und nichts anderes. Dass sich die kleinen und wie Stadtspatzen lebhaften Windmühlen drehen; dass die Brücken hoch- und runterklappen; dass auf den Kanälen Boote wie ferngesteuerte Fliegen umhersausen; dass die winzigen Nutten im Rotlichtviertel an ihren Schaufenstern Miniaturvorhänge auf- und zuziehen, und zwarordentlich und pünktlich wie altmodische Barometer; dass kleine Polizisten auf Pferden, nicht größer als weiße Mäuse, vorschriftsmäßig durch die Städte reiten. Und solange die Vorhänge auf- und zugehen, die Windmühlen sich drehen, die Bonsais gedeihen, unsere Miniaturherzen pochen, Blut durch unsere filigranartigen Adern fließt – solange ist alles in Ordnung. In der madurodamschen Sprache gibt es die Wörter
Verhängnis
,
Schicksal
oder
Gott
nicht. Die Mechanik ist Gott, das Verhängnis ist eine technische Panne. Nur muss ich, die ich durch meinen eigenen oder fremden Willen nach Madurodam geraten bin, das auch begreifen.
Question:
What was the name of the country in the south of Europe that fell apart in 1991?
    a) Yugoslowakia;
    b) Yugoslavia;
    c) Slowenakia.
    Question:
What was the name of the inhabitants of that country?
    a) The Yugoslavs;
    b) the Mungoslavs;
    c) the Slavoyugs.
    Question:
Where do these people, whose country has disappeared, live now?
    a) They are no longer alive;
    b) they are barely alive;
    c) they have moved to another country.
    Question:
What should people who have moved to another country do?
    a) They should integrate;
    b) they should desintegrate;
    c) they should move to yet another country.
    Ich muss nur begreifen, dass alles eine Simulation ist und ich also nicht schuld bin, dass ich in dieser, der madurodamschen Welt an-ü-ber-haupt-nichts-schuld-bin; dass alles eine Frage der Optik ist, dass die Dinge groß oder klein sind, nur wenn wir sie als groß oder klein empfinden. Ich muss nur begreifen, dass für uns, die Einwohner von Madurodam, die Krähen, die gelegentlich auf den Dächern unserer Häuser landen, eine viel größere Gefahr darstellen als der plötzliche hasserfüllte Schrei eines Kindes, der mir vorhin einen so unangemessen starken Schmerz zugefügt hat …

    Es war Spätnachmittag. Die Sonne verströmte großzügig eine warme Terrakottafarbe. Ich ging auf einen Wald zu, meine Füße berührten kaum noch den Boden. Es war ungewöhnlich still, nur surrte von Zeit zu Zeit ein Fahrrad vorbei. Ich sah Frauen mit Kopftüchern; von zahlreichen Kindern umgeben saßen sie wie Hennen im Gras. Das frisch gemähte Gras duftete. Dann trat ich in einen lichten Wald, zwischen dessen Bäumen ein blauer Weiher schimmerte. Die warme Luft roch nach Herbst, obwohl erst August war. Ich atmete sie in vollen Zügen. Ich kann nicht sagen, wie lange ich gelaufen war, bis ich an eine Lichtung kam …

    … auf der üppige Wiesenblumen wuchsen. Mitten durch diese Lichtung plätscherte fröhlich ein kristallklares Bächlein, und durch ein dichtes Geflecht von Eichenzweigen drang das Gold der Sonne. Am Rande des Bächleins saß auf einem Baumstumpf ein schwarzäugiges, dralles und kräftiges Fräulein. Sein üppiges Haar war zurückgekämmt, ein luftiges Kleid aus rosafarbenem Musselin schmiegte sich an seinen harmonisch gebauten Körper, am Hals trug es an einem schwarzen Samtband ein schlichtes Kreuzchen, im Gras vor ihm lagen ein Hut und ein Liederbuch.Um das Fräulein herum saß eine Schar Dorfkinder, Mädchen und Knaben, mit lebhaften, fröhlichen Gesichtern und offenem Blick, alle sauber in Weiß gekleidet, eine wahre Augenweide; viele Mädchen trugen aus Wiesenblumen geflochtene Kränze auf dem Kopf; das junge Fräulein in der Mitte dieses Kinderreigens gab mit der Hand den Takt zu einem Lied an, während alle diese kleinen Äugelein fromm auf ihren Zeigefinger
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