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Das Midas-Kartell

Das Midas-Kartell

Titel: Das Midas-Kartell
Autoren: Simon Mockler
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maskierte Figuren, mit dickem Stift an die Wand gekritzelt, daneben unleserliche Sudeleien, zum Teil dick und schwarz durchgestrichen – fragte sie sich, ob sie ihn nicht bitten sollte, wieder auszuziehen. Die Summe, die er bezahlt hatte, würde für eine vollständige Renovierung mehr als genügen, doch allmählich begann es in der Wohnung zu stinken, nicht nur durch das schmutzige Geschirr, das sich in der Spüle stapelte. Wenn er sie nicht bald sauber machen ließ, würden die Ratten kommen.
    Â»Gracias«, sagte er und griff gierig nach dem Teller. Er stieß die Tür mit dem Fuß zu und schob sich einen Löffel voll von dem heißen, scharfen Rindfleisch in den Mund. Kauend betrachtete er die Wände des Zimmers. Sein System. So passte alles zusammen. Eine große Karte mit Nadeln und Bändern, die die verschiedenen Zielpunkte in der Stadt miteinander verbanden, jeweils mit Notizen versehen.
    Danny fuhr sich mit der Hand durch die Haare. Draußen war es inzwischen dunkel. Ein paar räudige Köter schnüffelten am Laternenpfahl. Die Straßen, die tagsüber voller Menschen waren, lagen verlassen da. Auf der gegenüberliegenden Seite des breiten Boulevards parkte ein verrosteter, verbeulter Dodge Pick-up. Danny dachte sich nichts dabei. Die alte Karre stand schon da, seit er hier wohnte, ein fester Bestandteil des Straßenbilds. Er nahm Baseballkappe und Jacke und ging die Wendeltreppe nach unten. Er brauchte Luft. Er brauchte Dope; irgendetwas, das ihn durch die kommenden paar Tage brachte und seinen Verstand wachhielt – und den Totalzusammenbruch hinausschob, dem er sich unausweichlich näherte.

2
    Gloria Ferrovia überprüfte ihren Lippenstift im Rückspiegel des Dodge. Sie zog einen Schmollmund und rückte ihren BH zurecht. Die vereinzelten grauen Strähnen in ihrem dunklen Haar waren in diesem Licht nicht zu erkennen. Sie nahm ihren Mascara aus der Handtasche und tuschte sich die Wimpern nach, dann hob sie ihr Halskettchen an den Mund und küsste den Anhänger.
    Der Amerikaner erschien im Eingang des Mietshauses, blickte rasch rechts und links die Straße entlang und hastete dann los, an seinen Füßen wie immer die unvermeidlichen Converse, deren weiche Sohlen auf dem Pflaster keinen Laut erzeugten. Normalerweise hatten Fremde stets mit der Luft in der Stadt zu kämpfen, die durch die Höhe dünn und außerdem mit Abgasen geschwängert war.
    Gloria griff zum Mobiltelefon. »Er verlässt das Haus.«
    Â»Bleiben Sie dran.« Die Stimme am anderen Ende klang schroff und ungeduldig.
    Gloria stieg aus dem Wagen und zupfte unbeholfen mit einer Hand an ihrem engen Rock, der ihr über die Schenkel hochgerutscht war, während sie in der anderen das Handy hielt. Sie hatten ihr gesagt, sie solle so gut wie möglich aussehen, aber auf keinen Fall wie eine Nutte. Sie sollte Klasse ausstrahlen, aber auch, dass sie noch zu haben war. Als ob die wüssten, was Klasse bedeutete.
    Der Amerikaner wirkte noch konfuser als sonst und blieb ständig stehen, um über die Schulter zu blicken. Doch sie kannte alle Seitengässchen und Eingänge, in die man sich ducken konnte – das alte Kolonialviertel von Guatemala City war voller Schatten; der überladene spanische Barock mit seinen imposanten Säulen und wuchernden Arabesken spaltete das orangegelbe Licht der Straßenlaternen in zerrissene Formen auf. Heute nehmen Sie Kontakt auf , hatten sie ihr gesagt. Sprechen Sie ihn an und führen Sie ihn zur alten Kirche Santa Maria, in die Straße dahinter. Da wird ein roter Transporter stehen. Sie bringen ihn dorthin, und dann verschwinden Sie so schnell wie möglich .
    Sie hatte nicht weiter nachgefragt. Sie hatte nicht wissen wollen, wer dieser Amerikaner war. Sie hatte nur das Geld genommen. Wenn er dadurch mit bösen Menschen zu tun bekam, dann war es eben so. Man hatte ihr fünfhundert Dollar im Voraus gegeben, und fünfzig weitere bekam sie für jede Nacht, die sie im Dodge saß. Zwei Wochen lang dasitzen und beobachten: Das war der einfachste Job, den sie je gehabt hatte. Viel besser jedenfalls, als in den Cafés der Zona Viva zu bedienen, wo man unablässig den grapschenden Fingern der Touristen und ausländischen Geschäftsmänner ausweichen musste.
    Der Amerikaner verschwand am Ende der Straße in einer Bar. Gloria blieb stehen und überprüfte im Schaufenster einer Apotheke noch
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