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Das Meer Der Lügen: Ein Lord-John-Roman

Titel: Das Meer Der Lügen: Ein Lord-John-Roman
Autoren: Diana Gabaldon
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Glitzern kam von zwei roten Cabochons, die die Augen eines Phantasietieres darstellten, das auf der Spitze des Griffes thronte. Er blinzelte und sah es stirnrunzelnd an. Ein Greif, ein Drache, ein Dämon? Seine Gestalt schien nicht festzuliegen, sondern sich beim Zusehen zu verschieben und zu verändern. Einzig die Augen blieben reglos und starrten in die seinen.
    Doch die Klinge war umso solider. Sie war zweischneidig und schmal, aus kompromisslos auf Gebrauch ausgelegtem, mattem Stahl, und ihre glänzende Schneide trug die Spuren eines kürzlichen Schliffes.

    Es hing ein seltsamer Geruch im Raum. Zuerst dachte er, er hätte sich übergeben, weil ihm von Blut und Wein übel geworden war, doch dann sah er die Pfütze neben dem Bett am anderen Ende des Raumes. Erst jetzt bemerkte er das Mädchen.
    Sie war jung, nackt und tot. Ihr Körper lag schlaff und weiß im Kerzenlicht ausgebreitet, doch ihre Augen waren stumpf, ihre Lippen blau, und eine Spur von Erbrochenem zog sich über ihr Gesicht und die Bettwäsche. Grey wich langsam zurück, und der Schock spülte ihm die letzten Reste der Droge aus dem Blut.
    Er rieb sich mit beiden Händen fest über das Gesicht und bemühte sich nachzudenken. Sein Kopf drehte sich immer noch, und die Einzelteile seines Körpers fühlten sich so an, als gehörten sie nicht ganz zu ihm, doch er strengte sich an, um zumindest seinen Verstand unter Kontrolle zu bekommen. Was war das, warum war er hier mit der Leiche dieser jungen Frau? Wer war sie? Er zwang sich, näher zu treten, sie anzusehen. Er hatte sie noch nie gesehen; die Schwielen an ihren Händen und der Zustand ihrer Füße wiesen sie als Dienstmädchen oder Bauernmagd aus. Ihre Augen waren halb geschlossen und verdreht, so dass nur ein Grauen erregender, weißer Schlitz zwischen den dunkelroten, geschwollenen Lidern zu sehen war.
    Er fuhr abrupt herum, ging zur Tür. Verschlossen, natürlich. Doch wozu? Er schüttelte den Kopf und holte tief Luft, und sein Kopf klärte sich langsam. Aber trotzdem fiel ihm keine Antwort ein. Vielleicht Erpressung? Es stimmte, dass Greys Familie Einfluss hatte, auch wenn er selbst keinen besaß. Doch wie konnte seine Anwesenheit an diesem Ort zu einem solchen Zweck benutzt werden?

    Und wo genau befand er sich? Der Weg zu der Katakombe, die schwarze Messe, das alles kam ihm wie ein vager, phantastischer Traum vor. Hatten sie ihn zum Haus zurückgebracht oder lag dieser Raum immer noch tief unter der Erde? Es gab keine Fenster. Er hatte plötzlich das Gefühl, lebendig begraben zu sein, und holte tief und krampfhaft Luft, als drückten Tonnen von Stein und Erde auf seine Brust und müssten abgewälzt werden. Schweiß durchfeuchtete sein Haar und die Robe, die er trug, und er konnte den durchdringenden Geruch der Furcht auf seiner Haut riechen.
    Es kam ihm vor, als hätte er eine Ewigkeit damit zugebracht, in diesem unterirdischen Raum auf und ab zu schreiten, als sich schließlich die Tür öffnete und eine Gestalt in einer Robe sich dunkel vor dem Licht im Korridor abzeichnete und hineinschlüpfte.
    »George!« Sein erster Impuls war Erleichterung, der eine Welle der Wut folgte - und ein Gefühl der Vorsicht, das ihn bewog, jede unüberlegte Bemerkung herunterzuschlucken.
    »Teufel noch mal!« Everett ignorierte Greys impulsive Bewegung in seine Richtung und durchquerte das Zimmer. Dann blieb er stehen, runzelte verblüfft die Stirn und starrte auf das Mädchen hinunter.
    »Was ist denn hier passiert?«, wollte er wissen und fuhr zu Grey herum.
    »Erzähl du es mir«, sagte Grey. »Oder besser, lass uns hier verschwinden, und dann erzählst du es mir.«
    »Was hast du… Hast du sie umgebracht?« Eine seltsame Erregung lag in Everetts Stimme, und bei ihrem Klang bekam Grey eine Gänsehaut.

    »Nein«, sagte er kurz angebunden. »Ich habe sie tot vorgefunden. Wer ist sie. Warum hat man mich hierher…«
    »Psst!«
    Everett streckte die Hand aus, um ihn zu unterbrechen, und drängte ihn zum Schweigen. Er dachte kurz nach, dann schien er zu einem Schluss zu gelangen. Seine dunklen Augenbrauen entspannten sich, und ein Lächeln breitete sich gemächlich über sein Gesicht. Die Zungenspitze fuhr ihm unbewusst aus dem Mund und berührte die sanfte Kurve seiner Lippe, um dort zu einer flüchtigen Liebkosung zu verweilen. Grey kannte diese Bewegung gut; George war mit etwas zufrieden.
    »Auch gut«, sagte Everett leise zu sich selbst. »Ja, ich glaube wirklich, so ist es auch gut.«
    Er wandte sich um,
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