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Das Mal der Schlange

Das Mal der Schlange

Titel: Das Mal der Schlange
Autoren: Sophie Oliver
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große Panoramafenster des Wohnzimmers, mit dem Rücken zu ihren Freunden. Ein riesiger silberner Wagen mit langem Heck und noch längerer Motorhaube bog in Zeitlupengeschwindigkeit in die Einfahrt des gegenüberliegenden identischen Bungalows ein. Eine winzige alte Dame in einem grasgrünen Kostüm stieg aus und suchte in ihrer weißen Lackhandtasche nach dem Hausschlüssel. Als sie ihn gefunden hatte ging sie, ebenfalls in Zeitlupengeschwindigkeit und mit tippelnden Schritten, auf die Eingangstür zu. „Dann war es also doch richtig, zu euch zu kommen. Bevor noch einer von euch stirbt, möchte ich, dass ihr alle die Wahrheit kennt Dann könnt ihr über mich urteilen, aber erst dann.“

5.

    1900
    London
    England

    Es hatte angefangen, in dem Moment, als Jacob aus Indien heimgekehrt war. Ohne Vorwarnung. Ohne Anlass. Ohne Sinn.
    Schnell hatte Emmaline verstanden, was er von ihr erwartete. Unbedingten Gehorsam. Unterordnung. Die umgehende Erfüllung all seiner Wünsche - und keinerlei Fragen.
    Bei gesellschaftlichen Ereignissen hatte sie die schöne Ehefrau an seiner Seite zu geben.
    Ihr neues Zuhause, das edel renovierte Stadthaus in Mayfair, war für sie ein Albtraum.
    Seit seinem Ausscheiden aus der Armee ging er keiner Beschäftigung mehr nach, das große Vermögen seiner Frau erlaubte ihm das.
    Er schlief bis in den Nachmittag hinein, die Abende verbrachte er in seinem Herrenclub, die Nächte in den Bordellen und Opiumhöhlen der Stadt.
    Emmalines Geld, welches nun das seine war, rann ihm geradezu durch die Finger. Er verprasste es mit Pferdewetten, Kartenspielen, Drogen und Prostituierten.
    Die Wut nach einem verlorenen Spiel ließ er an seiner Frau aus. Wenn er morgens nach Hause kam, suchte er regelmäßig Emmalines Schlafzimmer auf und nahm sich, was er wollte.
    Am liebsten war es ihm, wenn sie sich wehrte.
    Aber er schlug sie niemals ins Gesicht, schließlich konnte man eine gebrochene Rippe viel besser kaschieren, als eine gebrochene Nase.
    Eine Verbrennung durch eine auf der Innenseite der Oberschenkel ausgedrückte Zigarre war wesentlich unauffälliger, als eine geplatzte Lippe, ein Tritt in den Bauch mindestens genauso wirkungsvoll wie ein blaues Auge.
    Mit der Zeit ließ Emmaline die Vergewaltigungen und Misshandlungen stumm über sich ergehen, um seinen Zorn nicht unnötig zu reizen. Sie stellte sich vor, dass sie tot wäre und nichts fühlte. Sie wusch die blutigen Laken heimlich, aus Scham vor ihren Dienstboten und aus dem gleichen Grund bemühte sie sich nicht zu schreien, wenn er ihr weh tat.
    Der Ekel, den sie anfangs vor ihm empfunden hatte, erschien ihr geradezu kindisch im Vergleich zu dem Horror, der nun von ihr Besitz ergriff, wenn sie seine Schritte auf der Treppe hörte.
    In den sechs Monaten seit seiner Rückkehr, hatte sich ihr Leben in eine Hölle verwandelt, aus der es kein Entrinnen gab, keine Hilfe und keine Hoffnung.
    Jacob war ein begnadeter Schauspieler, der es nach außen hin perfekt verstand, den liebevollen Ehemann zu heucheln.
    Bei den wenigen Gelegenheiten, die Emmaline alleine mit ihren Freunden gestattet waren, versuchte sie sich nichts anmerken zu lassen, aber sie wusste nicht, wie lange sie den Schein noch wahren konnte.

    „ Du wirst mich nicht bloß stellen, ist das klar?“ Jacobs Hand umklammerte schmerzhaft Emmalines Oberarm, als sie gerade dabei war, aus der Kutsche zu steigen. „Du wirst lächeln. Und du wirst mich ansehen, wie eine Frau den Mann ansieht, den sie liebt. Und du wirst so tun, als ob du dich amüsierst! Verstanden?“
    Emmaline nickte. Sie waren bei einem von Jacobs Freunden aus dem Club eingeladen, einem ebenso reichen wie schwergewichtigen Bankier und Kunstsammler, bereits weit jenseits der Siebzig, der seit dem frühen Tod seiner Frau oft und gerne Freunde bei sich hatte, um sich nicht einsam zu fühlen.
    „ Alastair!“, Jacobs Stimme war etwas zu fröhlich. „Vielen Dank für die Einladung! Ich hoffe, du hast genügend von deinem Schottischen Whiskey im Haus!“.
    „ Natürlich, Jacob. Emmaline“, Alastair beugte sich über Emmalines Hand, ohne sie mit den Lippen zu berühren, „Wie schön, dass sie kommen konnten. Ich freue mich sehr, dass sie hier sind.“ Seine warmen, freundlichen Augen zwinkerten ihr fröhlich zu, „Keine Angst, ich habe nicht nur die langweiligen alten Knaben aus dem Club eingeladen, sondern auch einen etwas weniger angestaubten Gesprächspartner für sie.“
    Er führte sie in den Salon seines Stadthauses. Die
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