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Das Magische Messer

Das Magische Messer

Titel: Das Magische Messer
Autoren: Philip Pullman
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Geschwindigkeit bis auf Schritttempo und brachte die Barkasse neben dem Fallreep zum Stehen, das knapp über dem Wasser endete. Er rief etwas, und ein Matrose warf von oben ein Seil herunter, und ein anderer hastete die Treppe hinab, um es an der Barkasse zu befestigen.
    Serafina Pekkala flog zur Reling des Schiffes hinauf und zog sich in den Schatten zwischen den Rettungsbooten zu  rück. Sie konnte keine anderen Hexen sehen, aber die patrouillierten wahrscheinlich am Himmel. Kaisa würde wissen, was zu tun war.
    Unten verließ ein Passagier die Barkasse und kletterte die Treppe hoch. Die Gestalt war in Pelze gehüllt, und eine Kapuze verbarg das Gesicht; doch als sie das Deck erreichte, schwang sich ein goldener Affendæmon gewandt auf die Reling und sah sich mit schwarzen, boshaft glitzernden Augen um. Serafina hielt den Atem an: Es war Mrs. Coulter.
    Ein dunkel gekleideter Mann eilte auf Deck, um sie zu begrüßen. Dabei sah er sich um, als erwarte er noch jemand anders.
    »Lord Boreal –«, begann er.
    Aber Mrs. Coulter unterbrach ihn: »Er ist anderswohin weitergefahren. Haben sie mit der Folter schon begonnen?«
    »Ja, Mrs. Coulter, aber –«
    »Ich habe ihnen doch gesagt, sie sollen warten«, sagte sie scharf. »Gehorcht man mir denn nicht mehr? Vielleicht ist auf diesem Schiff mehr Disziplin nötig.«
    Sie schob die Kapuze zurück, und Serafina Pekkala sah ihr Gesicht deutlich in dem gelben Licht: ein stolzes, leidenschaftliches und, in den Augen der Hexe, noch sehr junges Gesicht.
    »Wo sind die anderen Hexen?«, wollte sie wissen.
    Der Mann vorn Schiff sagte: »Alle weg, Madame. In ihre Heimat geflohen.«
    »Aber die Hexe, die die Barkasse her gelotst hat«, sagte Mrs. Coulter, »wo ist sie?«
    Serafina zuckte zusammen; offenbar hatte der Matrose auf der Barkasse nichts von der Flucht der Hexen gewusst. Der dunkel gekleidete Geistliche sah sich verwirrt um, doch Mrs. Coulter war zu ungeduldig, und nach einem flüchtigen Blick nach oben und über das Deck schüttelte sie den Kopf und eilte mit ihrem Dæmon durch die offene Tür, aus der ein gelber Schein in den Nebel fiel. Der Mann folgte ihr.
    Serafina Pekkala versuchte sich zu orientieren. Ihr Versteck lag hinter einem Lüftungsschacht auf dem schmalen Streifen zwischen der Reling und den Hauptaufbauten des Schiffes; auf derselben Höhe, unter der Brücke und dem Schornstein und nach vorne ausgerichtet, befand sich ein Salon, der auf drei Seiten richtige Fenster anstelle von Bullaugen hatte. Dorthinein waren der Mann und die Frau gegangen. In dicken Balken schien das Licht aus den Fenstern auf die mit kleinen Tropfen besetzte Reling und beleuchtete schwach den Fockmast und die mit Segeltuch bedeckte Luke. Alles war klatschnass und begann zu gefrieren und zu erstarren. Niemand konnte Serafina hinter dem Schacht sehen, aber wenn sie selbst mehr sehen wollte, musste sie ihr Versteck verlassen.
    Das war nicht günstig. Für die Flucht brauchte sie den Kiefernzweig, zum Kämpfen Messer und Bogen. Sie versteckte den Zweig hinter dem Lüftungsschacht und glitt über Deck, bis sie vor dem ersten Fenster stand. Es war vom Dunst beschlagen, und man konnte weder durchsehen, noch konnte Serafina dahinter Stimmen hören. Sie zog sich wieder in den Schatten zurück.
    Eines konnte sie allerdings tun. Sie zögerte, weil es toll  kühn war und zudem sehr anstrengend, doch schien es keine andere Wahl zu geben. Sie konnte mit einer Art Zauber erreichen, dass man sie nicht sah. Wirkliche Unsichtbarkeit war natürlich unmöglich, es handelte sich nur um einen geistigen Zauber, eine Art Selbstbescheidung, auf die sich die Person, die den Zauber bewirkte, so stark konzentrierte, dass sie zwar nicht unsichtbar wurde, aber andere sie einfach übersahen. Mit der richtigen Intensität aufrechterhalten, konnte man da­ mit durch ein von Menschen bevölkertes Zimmer schreiten oder neben einem einsamen Reisenden hergehen, ohne gesehen zu werden.
    Sie sammelte sich und konzentrierte ihre ganze Kraft da  rauf, ihre äußere Erscheinung so zu ändern, dass jede Aufmerksamkeit vollkommen davon abgelenkt wurde. Es dauerte eine Weile, bis sie dem Zauber vertraute. Dann machte sie eine Probe, indem sie ihr Versteck verließ und einem Matrosen in den Weg trat, der mit einer Werkzeugkiste über Deck kam. Er wich ihr aus, ohne sie anzusehen.
    Sie war bereit. Sie ging zur Außentür des erleuchteten Salons und öffnete sie, doch der Raum war leer. Sie ließ die Tür angelehnt, um notfalls
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