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Das Magische Messer

Das Magische Messer

Titel: Das Magische Messer
Autoren: Philip Pullman
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diesen Eid brechen, werde ich Sie mit allem, was von mir übrig bleibt, verfolgen, so dass Sie in alle Ewigkeit wünschen werden, nie geboren worden zu sein. So viel bedeutet mir der Eid.«
    »Ich verstehe. Sie haben mein Wort.«
    »Mehr brauche ich nicht. Leben Sie wohl.« ‘Der Schamane streckte die Hand aus und Lee schüttelte sie. Dann begann Grumman die Schlucht hinaufzusteigen, und Lee sah sich um, wo er am besten Stellung beziehen sollte.
    »Nicht hinter dem großen Felsen, Lee«, sagte Hester. »Dort kannst du nicht nach rechts sehen, und dann überrennen sie uns womöglich von dort. Nimm den kleineren.«
    In Lees Ohren war ein Sausen, das nichts mit dem Waldbrand weiter unten oder mit dem Zeppelin zu tun hatte, der mit angestrengtem Dröhnen versuchte, wieder zu steigen, sondern mit seiner Kindheit und mit der Schlacht von Alamo. Wie oft hatten er und seine Kameraden jene heldenhafte Schlacht in den Ruinen des alten Forts nachgespielt, abwechselnd als Dänen und Franzosen! Seine Kindheit stand ihm auf einmal machtvoll vor Augen. Er nahm den Navajoring seiner Mutter heraus und legte ihn neben sich auf den Felsen. In den Kriegsspielen jener Tage war Hester oft ein Puma oder Wolf gewesen und ein- oder zweimal eine Klapperschlange, meist aber eine Spottdrossel. Jetzt –
    »Träume nicht, sondern schieße«, sagte Hester. »Das hier ist kein Spiel, Lee.«
    Die Soldaten, die den Hang heraufkamen, waren fächerförmig ausgeschwärmt, rückten aber nur langsam vor, denn sie hatten die Schwierigkeit ihrer Situation erkannt. Sie wussten, dass sie die Schlucht einnehmen mussten, dass ein Mann mit Gewehr sich dort allerdings lange halten konnte. Hinter ihnen sah Lee zu seiner Überraschung, dass der Zeppelin immer noch versuchte aufzusteigen. Ob nun aus Mangel an Auf  trieb oder an Treibstoff, jedenfalls hatte er noch nicht abgehoben, und auf einmal hatte Lee eine Idee.
    Er legte die alte Winchester an, zielte, bis er den Backbordmotor genau im Visier hatte, und feuerte. Die Soldaten hoben die Köpfe, als sie den Knall hörten, und im nächsten Augen  blick heulte der Motor abrupt auf und setzte aus. Der Zeppelin neigte sich schwerfällig zur Seite. Lee hörte den anderen Motor noch dröhnen, aber das Luftschiff war manövrierunfähig.
    Die Soldaten waren stehen geblieben und so gut es ging in Deckung gegangen. Lee zählte sie: es waren fünfundzwanzig. Er hatte dreißig Kugeln.
    Hester kam neben seine linke Schulter gekrochen.
    »Ich halte nach dieser Seite Ausschau«, sagte sie.
    Wie sie da geduckt auf dem grauen Felsen lag, die Ohren flach auf dem Rücken, sah sie selbst aus wie ein Stein, grau  braun und unauffällig bis auf die Augen. Hester war keine Schönheit; sie war so struppig und mager, wie ein Hase nur sein kann, aber ihre Augen waren von einem wunderbaren, goldenen Haselnussbraun mit Flecken dunkelsten Torfbrauns und Waldgrüns. Und jetzt sahen diese Augen auf die letzte Landschaft hinunter, die sie je sehen sollten: einen öden Hang voller Geröll und dahinter einen brennenden Wald. Kein Grashalm, kein Fleckchen Grün, auf dem das Auge verweilen konnte.
    Sie zuckte leicht mit den Ohren.
    »Sie reden«, sagte sie. »Ich kann sie hören, aber nicht verstehen.«
    »Russisch«, sagte Lee. »Sie werden alle zugleich angreifen. Das ist für uns am schwierigsten, deshalb werden sie es so machen.«
    »Ziel genau«, sagte sie.
    »Mach ich. Aber verdammt noch mal, ich töte nicht gern, Hester.«
    »Wir oder sie.«
    »Nein, es geht um mehr. Sie oder Lyra. Ich weiß nicht wie, aber wir sind mit diesem Kind verbunden, und ich bin froh darüber.«
    »Links ist einer, der gleich schießen wird«, sagte Hester,
    und noch während sie es sagte, knallte ein Gewehr, und nur
    einen halben Meter neben ihr spritzten Steinsplitter von dem
    ‘Felsen, hinter dem sie sich duckte. Die Kugel verschwand
    heulend in der Schlucht, doch Hester tat keinen Muckser.
    »Tja, das macht es mir leichter«, sagte Lee und zielte sorg  fältig.
    Er feuerte. Er hatte nur auf einen kleinen Flecken Blau zielen können, aber er hatte getroffen. Mit einem überraschten Schrei fiel der Mann zu Boden und starb.
    Der Kampf begann. Innerhalb einer Minute hallten die Flanke des Berges und die lange Schlucht dahinter von Gewehrschüssen, heulenden Querschlägern und dem Krachen splitternder Felsen. Der Gestank des Kordits und der Brandgeruch des von den Kugeln getroffenen Gesteins vermischten sich mit dem Geruch verbrannten Holzes aus dem Wald, bis
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