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Das Mädchen und der Zauberer

Das Mädchen und der Zauberer

Titel: Das Mädchen und der Zauberer
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Stunde. O René … René … du siehst es jetzt nicht, aber ich habe doch ein bißchen Angst vor diesem neuen, fremden Leben … auch wenn es in einem Paradies sein soll.
    Ein paar Meter weiter von ihr lehnte Jules Tsologou Totagan an der Reling. Er trug eine runde, bestickte Mütze, einen korrekten naturfarbenen Leinenanzug und stützte sich auf einen knochigen, geschnitzten Stock. Niemand auf dem Schiff wußte es: Es war der Stab des oberen Voodoo-Priesters, des Houngan, der mit den Göttern und Seelen sprechen kann. Ein Stab, der töten konnte, wenn er damit einen Verfluchten berührte.
    Die Fahrt von San Juan bis Martinique war ohne Zwischenfälle verlaufen. Der Kapitän des Schiffes, Raoul Fratelli, der Typ eines Abenteurers, den man in eine Marineuniform gesteckt hatte, gab der Deutschen die Ehre, an seinem Kapitänstisch zu sitzen und ließ sich von Hamburg berichten. Das war sein großer Traum. Einmal über den Atlantik nach Europa, hinauf in den Norden, ja, bis zur Packeisgrenze, in die Fjorde, durch die Ostsee nach Finnland und Leningrad, nach Holland, wo man geschnitzte Holzschuhe tragen soll, und nach Hamburg, wo die Kräne im Hafen so dicht stehen sollen wie hier die Bäume im Urwald. Er war aus der Karibik nie weggekommen, immer die Route von Insel zu Insel, eine Traumfahrt, gewiß, aber wenn man sie fünfzehn Jahre lang macht, sieht man keine Paradiese mehr.
    Petra tanzte mit Monsieur Fratelli auf dem Bordball, sonnte sich auf dem Schwimmbad-Deck, spielte Tischtennis und beteiligte sich an einem Malwettbewerb, wo sie den dritten Preis bekam. Jules war immer in ihrer Nähe. Er lag im Liegestuhl eine Reihe hinter ihr, er las in einem Journal, wenn sie Tischtennis spielte, er stand an der Reling und beobachtete sie durch das Fenster des Salons, während sie malte.
    Der Fetisch hatte keinerlei Panik in ihr erzeugt, wenigstens bemerkte Jules nichts. Er war ja auch nur eine Warnung, aber auch die schien sie nicht verstanden zu haben. Hätte ein Neger oder ein Kreole diese Fetischpuppe in seinem Bett gefunden, er wäre wie von Teufeln gehetzt wieder vom Schiff gelaufen und hätte sich an Land versteckt. Das Beil im roten Herzen war eine deutliche Sprache, warum diese Frau sie nicht verstand, beschäftigte Jules die ganze Zeit.
    Nun ja, sie ist eine Fremde, dachte er. Aus Europa auch noch. Eine Deutsche. Ihre Seelen sind anders als unsere; sie haben nur den einen Gott, ich bin ja auch getauft, war mit Vierzehn Meßdiener bei Abbé Mouriac in Basse-Pointe und schuftete sonst auf der Ananasplantage von Gradis, ich kenne das, das mit dem einen Gott, aber das wird sie nicht schützen.
    Dreimal setzte Jules seinen Voodoo-Priesterstab ein. Er hatte sich auf einen Liegestuhl hinter Petra plaziert, und während sie mit geschlossenen Augen in der Sonne lag, streckte er den mit geheimnisvollen Symbolen verzierten Stock aus und berührte damit ihren Körper. Einmal die Hüfte – die Wirkung blieb aus: Sie hinkte nicht am nächsten Tag oder hatte keine Schmerzen in den Beinen. Das zweite Mal berührte er, leise Verschwörungen dabei murmelnd, ihre Schultern, aber auch hier zeigte es sich am nächsten Tag, daß sie nicht verkrümmt ging und daß sie so frei atmen konnte wie bisher. Der dritte Versuch, durch Voodoo Josephines Rivalin unschädlich zu machen, wurde von Jules nach altem Ritus vorbereitet. In seiner Kabine biß er einem Hahn, den er in Antigua auf dem Markt gekauft und an Bord geschmuggelt hatte, die Kehle durch, ließ das Blut über seinen Priesterstab laufen, tränkte darauf den Knüppel mit einem Zauberöl, das er mitgenommen hatte, und tanzte, den Stab an sein Herz gedrückt, so lange im Kreis, bis er verzückt und in Trance zusammenbrach. Als er wieder erwachte, legte er andächtig den Stab neben sich auf das Bett, breitete den geopferten Hahn darüber aus und steckte den abgebissenen Kopf auf die Spitze des Stockes.
    Wer konnte diesem Zauber widerstehen?
    Nun, beim dritten Mal, wieder hinter Petra sitzend, zielte Jules auf ihre linke Schulter, genau dorthin, wo ihr Herz schlagen mußte. Niemand der um sie Herumliegenden begriff, was vor ihren Augen geschah. Sie sahen nur einen alten, weißhaarigen Mann, der mit seinem geschnitzten Spazierstock herumfuchtelte, als wüßte er nicht, wo er ihn hinlegen sollte.
    Der leichte Stoß mit der verzauberten Spitze traf Petra, als sie sich etwas nach vorn beugte, um die Flasche mit dem Sonnenöl von den Planken zu nehmen. Er traf genau von hinten ihr Herz, sie
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