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Das Mädchen und das schwarze Einhorn

Das Mädchen und das schwarze Einhorn

Titel: Das Mädchen und das schwarze Einhorn
Autoren: Tanith Lee
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Vergnügen. Tanaquils Magen knurrte.
    »Mutter«, sagte Tanaquil, »vielleicht sollte ich von hier weggehen.«
    »Ja, tu das, Tanaquil, und laß mich endlich weitermachen.«
    »Ich meine, ich sollte die Festung verlassen.«
    »Lästiges Kind, wo könntest du schon hingehen?«
    Behutsam antwortete Tanaquil: »Wenn mein Vater ...»
    Jaive blähte sich auf; ihr Gewand bauschte sich, ihre Augen sprühten Blitze; winzige Gesichtchen, vielleicht Kobolde, vielleicht aber auch nur verfilzte Büschel, sahen aus ihrem Haar heraus.
    »Ich habe dir nie verraten, wer dein Vater war. Ich habe ihn davongejagt. Ich weiß nichts von ihm. Vielleicht lebt er nicht einmal mehr.«
    »Schließlich«, fuhr Tanaquil fort, »sehe ich dich ja ohnehin kaum, so daß du mich nicht vermissen würdest. Und er ...«
    »Ich habe nicht vor, mit dir über dieses Thema zu diskutieren. Ich habe es dir schon oft genug gesagt, dein Vater bedeutet mir nichts. Du mußt ihn dir aus dem Kopf schlagen.« Tanaquil verlor, wie so oft, die Geduld. Sie schnellte hoch und starrte wütend auf die Wurst der beiden Mäuse.
    »Vielleicht gehe ich ja auch irgendwo anders hin. Überall ist es besser als hier!«
    »Es dauert Tage, um die Wüste zu durchqueren, du dummes Kind. Nur eine Zauberin wäre dazu in der Lage.«
    »Dann hilf mir!«
    »Ich wünsche, daß du hierbleibst. Du bist meine Tochter.«
    In der Wand hörte man ein kratzendes, raschelndes Geräusch, dann ein dünnes Sopranstimmchen, das von der Decke zu ihnen hinunterdrang. »... Knochen ...« Das Piefel stattete ihnen auf seiner Suche durch die Welt der Schornsteine und Kaminschächte einen Besuch ab.
    Jaive nahm kaum Notiz von ihm. Die Piefel, Wüstentiere, die sich ihre Gangsysteme rund um die Festung (sie mußten sie für einen Stein wie andere auch halten) gegraben hatten, waren schon vor Jahren von ihrer Magie beeinflußt worden und hatten so zu sprechen begonnen. In Tanaquils Augen symbolisierte das Piefel all das, was in der Festung nicht in Ordnung war. Nervös sagte sie: »Mutter, du mußt mich gehen lassen.« »Nein«, entgegnete Jaive und lächelte ihre Tochter mit Tigeraugen an.
    Tanaquil erhob sich von ihrem Hundeschemel, durchquerte und verließ das Gemach. Dem grünen Jadekopf hatte sie im Alter von zwölf Jahren einen Schnurrbart aufgemalt, und der Kopf hatte ihr einen Blitzstrahl entgegengeschleudert, der sie die Treppe hinuntergeworfen hatte. Beherrscht schloß sie die schwarze Tür, während sie sich überlegte, wo sie ihre Wut und Enttäuschung loswerden konnte.
    Jaives Festung war zu Lebzeiten ihrer Großmutter, ebenfalls eine Zauberin und Einsiedlerin, gebaut worden. Es handelte sich um ein seltsames Gebäude von recht verworrener Struktur, und aus einiger Entfernung von der Wüste aus betrachtet, sah es nicht nur für Piefel wie eine ganz gewöhnliche Felsformation aus. Um die Küche der Festung zu erreichen, mußte man durch etliche lange und gewundene Gänge streifen und eine düstere, höhlenartige Treppenflucht ins Erdgeschoß hinunter nehmen. Was Tanaquil tat. Im dritten Gang schlug ein geschnitzter Wasserspeier an einem Deckenbalken, wohl von einem weiteren Irrläufer der Magie Jaives getroffen, unvermittelt mit den Flügeln und krächzte los, doch Tanaquil ignorierte ihn. Sie trug die kleine Uhr bei sich, die sie für die Köchin repariert hatte. Damit kannte Tanaquil sich gut aus. Seit ihrem zehnten Lebensjahr hatte Tanaquil gemerkt, daß sie in der Lage war, alle möglichen Dinge zu reparieren. Und deshalb arbeitete Tanaquil, während ihre extravagante Mutter in ihrem Zauberreich Dämonen beschwor und befragte, sorgfältig an zerbrochenen Puppen und Uhren, Spieldosen und manchmal auch an den Armbrüsten der Soldaten oder an Teilen der Geschütze, die nie benutzt wurden - es sei denn, jemand betätigte sie zufällig - und deshalb oft nicht richtig funktionierten.
    Die Küche lag sechs Fuß unter Grund und besaß nahe der Decke hohe Fenster, die Licht und Sand einließen. Die Küchenjungen sollten eigentlich unablässig damit beschäftigt sein, die Boden zu schrubben oder die Oberflächen der Möbel abzuwaschen. Wenn man sich indes der Küche näherte, bemerkte man nichts Bedeutendes außer der Stille und dem faulen Surren von Stimmen.
    Tanaquil öffnete die Tür.
    Die Köchin saß auf ihrem Sessel, die Füße auf der Batterie von Öfen, von denen die meisten kalt waren. Zwei Küchenmädchen spielten Skorpione -und - Leitern, eine dritte stickte. Kein einziger der Küchenjungen
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