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Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)

Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)

Titel: Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)
Autoren: Luca Di Fulvio
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Ellenbogen in die Seite stieß.
    Während die Sonne langsam hinter den Dächern Venedigs verschwand, senkte sich plötzlich bleierne Stille über die Anwesenden. Alle blickten auf einmal ernst drein, ließen die Köpfe hängen und schwiegen.
    Es wurde Zeit.
    »Ihr müsst aufbrechen«, sagte Anna del Mercato schließlich. »Es wird schon dunkel.«
    Mercurio sah sie durch einen Tränenschleier an. Sie kam auf ihn zu, fuhr mit einem Finger zärtlich über seine Augenbrauen und küsste ihn. »Ich bin stolz auf dich … Pater Venceslao da Ugovizza.« Dann wandte sie sich um, ging zum Fallreep und verließ als Erste das Schiff.
    Isacco folgte ihr stumm an die Reling.
    »Doktor«, rief Mercurio ihm nach. »Geht zu Isaia Saraval, dem Pfandleiher in Mestre, und lasst Euch dort das Geld geben, das er mir noch schuldet. Verwendet es für das Hospital.«
    Isacco nickte abwesend. Er hatte ihm nicht zugehört, da ihn noch ein Gedanke quälte. Er lief noch einmal zurück, packte Giuditta an den Schultern und drehte sie zu sich herum. »Sag mir, es war doch nicht falsch von mir, dich nach Venedig zu bringen, oder?«
    Giuditta sah kurz Mercurio an, ehe sie ihrem Vater fest in die Augen blickte. »Nein, Vater, ganz im Gegenteil.«
    »Deine Mutter wäre stolz auf dich.«
    »Und sie ist stolz auf dich, Vater«, erwiderte Giuditta.
    Nun küsste Isacco sie ein letztes Mal, dann ging er von Bord und stellte sich neben Anna del Mercato.
    Langsam legte das Schiff ab.
    Zuans Mannschaft hisste die Segel. Auf das Kommando von Tonio und Berto tauchten die buonavoglia die Ruder in die Wasser der Lagune, und Zuan stellte sich ans Steuer. Lanzafame ging nach Steuerbord an die Reling, und Mosè tollte mit fröhlichem Gebell übermütig auf dem Deck herum.
    »Lässt du das wohl, du blöder Köter«, wies Zuan ihn nicht ganz ernst gemeint zurecht.
    Ächzend wie die alten Knochen ihrer Mannschaft nahm die Karacke Shira Kurs aufs offene Meer.
    Niemand an Bord wusste, was ihn erwartete. Keiner von ihnen hatte die Neue Welt je gesehen. Sie wussten weder, ob sie sie je erreichen noch was sie dort vorfinden würden. Doch sie waren echte Seeleute und wären unglücklich gestorben, wenn sie es nicht zumindest versucht hätten.
    Giuditta, die am Heck gestanden und übers Wasser geblickt hatte, bis Zuans Werft nicht mehr zu sehen war, holte eine kleine Schüssel mit Wasser und ein Leinentuch und setzte sich neben Mercurio. »Wie hässlich du aussiehst, mein Schatz«, sagte sie und wusch ihm zärtlich die letzten Reste Schminke von Pater Venceslao vom Gesicht.
    Mercurio lächelte sie ermattet an, seine Augen glänzten fiebrig.
    »Für eine Weile möchte ich dich erkennen können«, sagte Giuditta. »Keine Verkleidungen. Versprochen?«
    »Versprochen! …«
    »Du hast mir das Leben gerettet«, sagte Giuditta leise.
    Mercurio sah sie voller Zärtlichkeit an. Dann streckte er mit einiger Mühe einen Arm aus und nahm Giudittas Hand.
    Wie schwach er doch ist, dachte Giuditta bewegt.
    Um nicht in Tränen auszubrechen, starrte sie geradeaus über den Bug des Schiffes hinweg. Sie erinnerte sich, wie sie nach Venedig gekommen war und mit ihrem Vater das makedonische Schiff an der Pomündung verlassen hatte. Sie dachte daran, wie verheißungsvoll ihr der Fluss damals erschienen war. Und dass sie das Gefühl gehabt hatte, endlich angekommen zu sein. Nie hätte sie sich vorstellen können, nach so kurzer Zeit noch einmal ähnliche Gefühle und Erwartungen zu haben. Doch genau so war es.
    Nachdenklich sah sie hinaus in die dunkle, sternenklare Nacht. Das Meer lag genauso geheimnisvoll vor ihr wie ihr zukünftiges Leben.
    Einen Moment überkam sie Furcht. Doch dann blickte sie hinunter auf Mercurio, der erschöpft eingeschlafen war. Auf seinem Gesicht lag ein friedvolles Lächeln. Und er hielt noch immer ihre Hand. Sie würden es schaffen, schien das zu heißen.
    Giuditta fühlte sich geborgen.
    Sie schaute zu dem nächtlichen Himmel empor, richtete einen Zeigefinger auf den Stern, den sie kannte, seit sie ein kleines Mädchen war, und sagte leise: »Weise uns den Weg …«

Anmerkung des Autors
    I n Venedig, genauer gesagt im Stadtteil Cannaregio an der Fondamenta degli Ormesini, liegt mein altes Zuhause: ein dunkelroter, zweistöckiger Palazzo aus dem siebzehnten Jahrhundert. Direkt vor der Haustür führt eine Eisenbrücke über einen breiten Kanal, den Rio di San Girolamo.
    Dieses Haus und besonders dessen mezza’ hat meine Kindheit maßgeblich geprägt. Der mezza’ ist
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