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Das Mädchen aus der Pearl Street

Das Mädchen aus der Pearl Street

Titel: Das Mädchen aus der Pearl Street
Autoren: Dorothy Gilman Butters
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Haferschleimtapete ließ sich verhältnismäßig leicht in Streifen abreißen, aber leider kam unter ihr eine Schicht Blumenmuster zum Vorschein, die zäh auf einer gallengrünen, tieferen Lage festgeklebt war und sich absolut nicht abziehen lassen wollte. Es blieb nichts anderes übrig, als sowohl Blumenmuster wie auch Gallengrün Zentimeter für Zentimeter mit heißem Wasser aufzuweichen und mühsam abzureiben.
    Für Kitty war diese Arbeit besonders ermüdend, da sie nicht geschlafen hatte, aber trotzdem genoß sie das gemeinsame Wirken wie ein besonderes Fest, und die andern teilten begeistert ihre Stimmung. Keiner von ihnen hatte je etwas für ihr Zuhause getan, außer notwendigerweise auszukehren und gelegentlich die Vorhänge zu waschen. Jeder war zu beschäftigt oder zu bequem gewesen, obwohl sie sich alle miteinander zeit ihres Lebens nach Gemütlichkeit in einem gefälligen Heim gesehnt hatten. Wie Mam, die von ihrem Garten träumte, dachte Kitty. Sie hatten hier nicht gelebt, sondern vegetiert. Das Haus war ein Ort, aus dem man sich so oft und so schnell wie möglich verdrückte, und wenn man wirklich keinen Grund zum Ausgehen finden konnte, dann versuchte man, sich von der schäbigen Umgebung so wirksam wie möglich abzulenken. Heute dagegen dachte niemand daran, das Fernsehgerät anzudrehen, denn was hätte anregender sein können als dies gemeinsame Schaffen? Man trieb sich gegenseitig zu immer größerem Eifer an, half einander und ließ sich helfen und lachte über gelegentliche Stoßseufzer. Gegen Ende des Nachmittags wurde Kitty in die Küche entlassen, um für die hungrigen Arbeiter zu kochen, und nach dem Essen ließ Mutter sich zu einem Schläfchen überreden, aber die andern schafften mit neuem Mut weiter.
    Um sieben Uhr klappte die Verandatür. Ohne aufzuschauen, rief Thomas: „Wer immer es ist, er wird hier mit angestellt!“
    Kitty hob den Kopf und vergaß einen Herzschlag lang zu atmen. „Piccolo ...!“ Sie schnappte nach Luft.
    „Oh, Mr. Boswell!“ rief Mutter gleichsam erstaunt, aber sichtlich erfreut.
    „Piccolo! Piccolo!“ brüllte Danny.
    Kitty wurde sich entsetzt bewußt, daß ihre wirren Haare unter ein Kopftuch gedrückt waren, und ganz gewiß glänzte ihre Nase. Außerdem hatte sie wohl seit Mittag schon kein Lippenrouge mehr aufgelegt.
    „Ich wollte euch allen Eintrittskarten für unseren Eröffnungsabend bringen“, erklärte Piccolo seinen Besuch, „ihr sollt keine Ausgaben haben, um Dannys Schauspieltalent bewundern zu können.“
    „Wenn ihr es so anstellt, kommt ihr nie auf eure Kosten!“ lachte Thomas gut gelaunt.
    „Ich hatte euch nicht allesamt daheim vermutet“, sagte Piccolo und betrachtete Kitty, als bemerke er sie erst jetzt, „was ist denn hier los?“
    „Setz dich“, lud Kitty höflich ein, „das heißt, sofern du einen Stuhl finden kannst.“
    „Mich setzen?“ widersprach er. „Soll ich etwa diesen vergnüglichen Rummel hier versäumen? Los, rüstet mich mit einem Lappen aus, ich helfe euch aufweichen. Es gibt nichts, was ich über Tapeten nicht wüßte — aus welchem Grund ich meine Wände lieber anstreiche.“
    Kitty lachte, und plötzlich wußte sie, daß ihr Struwwelkopf und das Fehlen von Lippenstift völlig belanglos waren. Schließlich war er nicht ihretwegen gekommen. Er wollte die ganze Familie Boscz besuchen, und an diesem Samstagabend war sie ausnahmsweise vollzählig versammelt. Diese Tatsache war so ungewöhnlich, daß man sich über Piccolos erstauntes Gesicht nicht wundern durfte.
    „Ich dachte, du arbeitest abends“, sagte sie zu ihm.
    „Wir wechseln jede Woche“, erklärte er, indem er ihren Wassereimer neu füllte und einen Lappen hineindrückte, „ich habe heute den ganzen Tag Dienst gehabt und wollte mich eigentlich am Abend gründlich ausruhen, denn morgen haben wir Hauptprobe für unser Stück im Gemeindehaus.“
    „Hier wird dir das Ausruhen schwerlich gelingen“, warnte Thomas vergnügt.
    „Macht nichts“, erwiderte Piccolo und begann sich nützlich zu machen.
    Als es neun Uhr schlug, war die letzte Wand sauber geschrubbt, und es erhob sich eine hitzige Debatte darüber, ob man die mühselige Schmutzarbeit gleich im Eßzimmer nebenan wieder aufnehmen und so den unangenehmen Teil in einem Schwung hinter sich bringen sollte oder ob man lieber hier die neuen Tapeten aufklebte und sich so mit dem Anblick der neuen Pracht für die bisherige Ausdauer belohnte. Während die Familie die Köpfe zusammensteckte und
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