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Das Mädchen aus den Wäldern (German Edition)

Das Mädchen aus den Wäldern (German Edition)

Titel: Das Mädchen aus den Wäldern (German Edition)
Autoren: Kira Gembri
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sich wieder von ihm löste. Erneut begann sie sich zu drehen und verschwand dabei allmählich in der Dunkelheit …
    Nur langsam kehrte Reevas volles Bewusstsein wieder zurück, bis sie schließlich merkte, dass sie ihre Hände zu Fäusten geballt hatte und sich die Fingernägel in ihr Fleisch gruben. Ihr Herz hämmerte laut in ihren Ohren, aber diesmal kannte sie diesen Zustand bereits und wusste die Situation zu benennen. Dennoch schnürte ihr die Angst die Kehle zu, als sie zu sprechen versuchte; erst nach einem zweiten Anlauf gelang es ihr, das heftige Zittern in ihrer Stimme zu unterdrücken.
    „Du hast Recht“, flüsterte sie, „ich weiß etwas über sie: Noch diesen Sommer wird sie beim Tanz auf einem Dorffest einen jungen Bauern kennenlernen, den sie später heiraten wird.“
    Enva erwiderte nichts, doch die Hand, mit der sie den Arm des Mädchens umfasste, um es zu seinem Schlafplatz zu führen, war warm und tröstlich.
    Erst später, kurz vor dem Einschlafen, vernahm Reeva wieder die Stimme der Alten: „Fürchte dich nicht mehr, meine Tochter. Und versuche niemals, die Bilder aus deinem Innern zu verdrängen, versprich mir das.“
    Doch Reeva war noch viel zu verschreckt und durcheinander von dem eben Erlebten. Sie fühlte sich nicht dazu bereit, etwas Derartiges zu versprechen, also schwieg sie; und ehe sie noch einen weiteren Gedanken fassen konnte, hatte die Erschöpfung sie in einen tiefen Schlummer hinabgezogen.
     
    ***
     
    Am nächsten Morgen, als die Grashalme noch von glitzerndem Tau verziert waren, machten sie sich wieder auf den Weg. Reeva tat es nicht leid, den Ort hinter sich zu lassen, und sie genoss die einsame Wanderung über die Wiesen. Ihr schien es, als wäre der Himmel abseits der Dörfer höher gespannt und als wäre die Luft klarer; viel zu bald hatten sie ihr nächstes Ziel erreicht.
    Die Kunde von den beiden umherziehenden Heilerinnen war ihnen offenbar vorausgeeilt, denn diesmal wirkte niemand überrascht oder erschrocken bei ihrem Anblick. Noch ehe sie die ersten Häuser passiert hatten, wurden sie von einigen Kindern begleitet, die auf den umliegenden Wiesen umhergetollt waren. Die Jungen und Mädchen johlten übermütig, und einige besonders Vorwitzige wagten sich sogar weit genug heran, um Reevas Haar oder Envas Umhang zu packen. Als ein Erdklumpen Reeva in die Seite traf, zuckte sie wie unter einem stechenden Schmerz zusammen, aber Enva ermutigte sie leise murmelnd, sich aufrecht zu halten und ruhig weiterzumarschieren.
    Schon kamen von überall die Bewohnerinnen des Dorfes herbei, packten ihre Kinder und zogen sie zurück in die Hütten. Nur wenig später konnte Reeva die kleinen schmutzigen Gesichter jedoch wieder erkennen, die sich neugierig gaffend an den Fenstern zeigten.
    Diesmal wartete Enva nicht bis zum Abend und somit zur Rückkehr der Männer, sondern setzte sich gleich unter einen Baum am Rande des Platzes, wo sie verharrte, bis sich die Frauen erneut hervorwagten. Kurz darauf bildete sich tatsächlich wieder eine Schlange von nervös, aber auch erwartungsvoll dreinblickenden Bauersfrauen; die beiden Heilerinnen hatten alle Hände voll damit zu tun, sich um Ausschläge, Husten und Gliederschmerzen zu kümmern und Arzneien zu verkaufen.
    Einmal kam eine junge Frau an die Reihe, die vorgab, einen Tee erwerben zu wollen. Sie trug einen plärrenden Säugling auf der knochigen Hüfte, und ein Kleinkind hing ihr am Rockzipfel. Als Reeva sich vorbeugte, um ihr das Kräutergemisch in einem kleinen Beutel zu überreichen, stieß die Frau plötzlich hervor:
    „Mädchen, ich bitte dich, hilf mir! Wir hatten im vergangenen Winter kaum genug zu essen, nachdem die Ernte meines Mannes durch einen heftigen Regen zerstört worden war. Ich habe vier Kinder zu ernähren, ein weiteres ist unterwegs, und ich habe Angst. Wird es dieses Jahr wieder dasselbe sein? Bitte sag mir, ob ich mich umsonst sorge!“
    Sie starrte Reeva mit geweiteten Augen an, in denen sich der Hunger spiegelte. Abwehrend wich das Mädchen zurück und wollte der Frau nur schnell den Beutel in die Hand drücken, doch dann besann es sich eines Besseren.
    Die junge Bauersfrau sah, wie das Gesicht der Heilerin mit einem Mal ausdruckslos wurde. Die Lider waren geschlossen, und das Mädchen schien auch nicht mehr zu atmen – es wirkte so leblos, dass die Frau zurückschreckte und ein Kreuz schlug. Doch so abrupt das Ganze begonnen hatte, so schnell war es auch wieder vorbei. Reeva nahm die Hand der Bäuerin,
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