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Das Löwenamulett

Das Löwenamulett

Titel: Das Löwenamulett
Autoren: Frank Schwieger
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Eltern waren auch einmal Sklaven.«
    Das war gemein.
    »Das ist lange her«, schnappte ich zurück. »Meine Eltern wurden freigelassen, schon vor langer Zeit. Und mein Vater ist ein angesehener Kaufmann, ein erfolgreicher Papyrushändler. Er beliefert sogar die Apollonbibliothek hier in Rom. Du bist die Tochter eines römischen Bürgers, und die-14

    ser, dieser Myyyyyron« – ich ahmte sie nach und erhielt dafür einen schmerzhaften Tritt gegen den Knöchel – »dieser Myron ist ein griechischer …«
    »Deine Eltern stammen auch aus Griechenland.«
    »Das hat damit nichts zu tun! Dieser Myron wohnt erst seit acht Tagen …«
    »Seit zehn Tagen!«
    »Dann eben seit zehn Tagen. Er lebt seit zehn Tagen im Haus eures Nachbarn, und du führst dich auf wie die unglückliche Echo, die für den schönen Narcissus dahinschmilzt.«
    »Was hast du eben gesagt?« Delias Vater blickte von seiner Schreibtafel auf und schaute mich interessiert an. Delia legte den Finger auf den Mund und schüttelte den Kopf.
    »Och, nichts Besonderes. Ich habe nur von Narcissus und Echo erzählt.«
    Ovid warf die Stirn in Falten und kaute auf seinem Schreibgriffel. Fast hatte ich den Eindruck, als würde er durch mich hindurchschauen.
    »Gute Idee«, murmelte er, »sehr gute Idee. Das muss ich mir gleich …« Und wieder wandte er sich seiner Schreibtafel zu und schien in eine andere Welt abzutauchen. Ich rückte ein wenig von ihm ab und zu Delia hinüber, damit er uns nicht hören konnte.
    »Er ist ein griechischer Sklave«, zischte ich. »Und er gehört nicht dir, sondern diesem Senator da vorn, eurem Nachbarn. Und außerdem kennst du ihn gar nicht.«
    »Ich habe ihn vom Balkon aus beobachtet, wie er im Garten irgendwelche Schreibarbeiten erledigt hat. Und ich hab ihm zugewinkt!«
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    »Oooh, na dann …«
    »Und ich habe schon einmal mit ihm gesprochen.«
    »Ein Mal? Bei der schönen Aphrodite!« Ich musste laut lachen.
    »Was gibt’s denn da zu lachen? Das war gestern Morgen, kurz bevor ihr gekommen seid, du und dein Vater.«
    »Wo war das?«
    »Auf der Straße vor unserem Haus. Er hat Senator Metellus begleitet, hatte eine pralle Ledertasche um die Schulter hängen und etliche Schriftrollen auf dem Arm.«
    »Und was hast du zu ihm gesagt?«
    »Salve.«
    »Bloß Salve? Fiel dir nichts Besseres ein? Was hat Myron darauf gesagt?«
    »Auch Salve.«
    »Das war alles?«
    »Das war der Anfang.«
    »Der Anfang von was?«
    Delia lächelte versonnen und breitete die Arme aus. »Der Anfang eines großen, großen Abenteuers.«
    »Du spinnst total«, sagte ich und schüttelte den Kopf.
    In dem Moment wusste ich nicht mehr, ob sie es ernst meinte oder ob sie mich auf den Arm nehmen wollte.
    »Du kennst ihn doch kaum.«
    »Ja und? Dann werde ich ihn eben kennenlernen. Er wohnt ja gleich nebenan.«
    »Wird das der Senator erlauben? Was werden deine Eltern dazu sagen?«
    Delia zuckte mit den Schultern. »Nein und nein, fürchte 16

    ich. Aber Schwierigkeiten sind dazu da, um überwunden zu werden. Per aspera ad astra!* Findest du nicht?«
    »Ich finde, wir sollten uns etwas zu trinken holen. Die Sonne brennt und ich habe Durst.«
    »Wenn du meinst …« Delia beugte sich zu ihrem Vater hinüber. »Sollen wir dir etwas mitbringen?«
    Ovid schrieb, ohne aufzuschauen, unablässig in seine Wachstafel und murmelte etwas für mich Unverständliches.
    Delia aber schien ihn verstanden zu haben und stand auf.
    »Da hinten ist ein Getränkestand, ich hab ein paar As dabei. Komm mit.«
    Ich folgte ihr die Sitzreihe entlang, bis wir die Stufen erreicht hatten, die hinauf zu den Verkaufsbuden führten.
    Natürlich waren wir nicht die Einzigen, die Durst oder Hunger hatten. Geschiebe und Gedränge, Geknuffe und Gepuffe.
    Wir mussten die Ellenbogen einsetzen, einmal sogar die Knie, um endlich an unsere Becher zu gelangen. Das tat gut: gekühlter Wein, mit Wasser verdünnt, mit Zimt und Lorbeer gewürzt – köstlich!
    Wir wollten gerade wieder zurück zu unseren Plätzen gehen, als Delia plötzlich erstarrte. Als hätte Zeus sie mit einem Blitz getroffen, oder besser: Eros mit einem Pfeil. Steif wie eine Statue stand sie da, die Lippen aufeinandergepresst, die Augen weit aufgerissen. Eine Statue, die reden konnte.
    »Da vorne!«, hauchte sie.
    Mir war sofort klar, wen sie gesehen hatte. Und da kam er auch schon, der schöne Myron, die Treppen hinauf und –
    * Lateinisches Sprichwort: »Auf rauen Wegen zu den Sternen!«
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    wusch! – war er an uns vorbeigehuscht,
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