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Das Löwenamulett

Das Löwenamulett

Titel: Das Löwenamulett
Autoren: Frank Schwieger
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ohne auf Delia oder mich zu achten. Offenbar sollte er für seinen Herrn etwas zu trinken holen, denn er ging zu einer der Getränkebuden und mühte sich redlich, an einen gefüllten Becher zu kommen.
    »Blöder Kerl!«, fauchte Delia.
    »Wieso?«
    »Er hat mich missachtet!«
    »Das kann doch passieren. Bei all den Leuten hier. Vielleicht kann er sich auch gar nicht an dich erinnern.«
    Manchmal merkt man genau in dem Moment, in dem man etwas sagt, dass man es besser nicht gesagt hätte.
    »Was soll das denn heißen?« Funken sprühten aus Delias Augen. »Natürlich kann er sich an mich erinnern!«
    »Natürlich!« Ich legte meine Hand auf ihre Schulter. »Er hat dich einfach nur nicht gesehen. Außerdem ist er in Eile.
    Wollen wir zurück auf unsere Plätze? Das nächste Rennen wird gleich beginnen.«
    »Nein, wir warten hier.«
    »Du meinst … Und wenn er dich wieder …?«
    »Das wird er nicht!«, zischte Delia, und ihre dunklen Augen funkelten. Sie warf den Kopf in den Nacken und stemmte die Hände in die Hüften. »Schließlich bin ich die Tochter des berühmten Dichters Publius Ovidius Naso … Oh, oh, beim Hercules, da kommt er!«
    Myron musste sich sehr geschickt an die Theke durch-geschlagen haben, denn er war schon wieder auf dem Rück-weg, einen großen tönernen Becher vorsichtig mit beiden Händen vor sich hertragend. Jetzt konnte ich ihn zum ersten 18

    Mal genauer betrachten. Und ich musste Delia recht geben, er sah wirklich gut aus. Er war vielleicht sechzehn oder sieb-zehn Jahre alt, schlank, fast ein wenig schmächtig, er hatte ein schmales Gesicht mit einer krummen Nase und glänzenden schwarzen Augen. Sein lockiges braunes Haar fiel ihm bis auf die Schultern.
    »Narcissus!«, flüsterte ich Delia ins Ohr.
    »Quatsch!«, fauchte sie. »Was soll ich denn jetzt tun?« Sie zappelte unruhig neben mir.
    »Ihn ansprechen!«
    »Und was soll ich sagen?«
    »Dir fällt schon was ein.«
    Myron hatte sich uns bis auf wenige Schritte genähert.
    Seine Augen waren fest auf den randvollen Becher geheftet und im nächsten Moment hätte er uns links liegen lassen, wenn nicht …
    »Salve«, wisperte Delia, als er an uns vorbeiging.
    Myron blieb stehen und schaute vorsichtig von seinem Becher auf. »Meinst du mich?«
    Delia nickte nur, sie bekam kein Wort heraus. Ihre Wangen waren so rot wie reife Himbeeren.
    »Kennen wir uns?« Myron runzelte die Stirn. »Bist du nicht …? Ja, natürlich, du bist das Mädchen aus dem Nachbarhaus. Die Tochter des Dichters, nicht wahr?«
    »Hmm.«
    Wahrscheinlich hatte Delia einen Krampf in der Zunge.
    »Und dein Name ist …?«
    Delia machte keine Anstalten, etwas zu sagen. Ich knuffte sie in die Seite.
    19

    »Delia«, wisperte sie.
    »Ein schöner Name für eine Dichtertochter. Ich heiße Myron und bin, verzeih bitte, ziemlich in Eile. Mein Herr hat großen Durst.«
    Delia lächelte verlegen. »Eigentlich heiße ich Aurelia.
    Aber meine Eltern nennen mich meistens Delia, es sei denn, sie schimpfen mit mir. Meine Freunde übrigens auch.«
    Der Krampf in ihrer Zunge schien sich gelöst zu haben.
    »Dürfen dich auch Sklaven Delia nennen?«, fragte Myron.
    »Hmm!« Sie nickte, anscheinend war der Krampf zurück-gekehrt.
    »Und wie ist dein Name, wenn ich fragen darf?« Er wandte sich mit einem überraschend selbstsicheren Lächeln mir zu.
    »Du darfst«, sagte ich und lächelte zurück. Ich konnte langsam verstehen, was Delia an ihm fand. »Ich heiße Lycoris.«
    Myron strahlte: »Lykoris? Onoma Ellenikon. Oukoun patris sou he Hellas estin?«
    »Ou deta«, sagte ich, »all’ egenomen en to Miseno. He Hellas de patris ton goneon mou.«*
    »Was redet ihr da?« Delia zupfte an meiner Tunica. »Ich verstehe kein Griechisch. Mein Vater will’s mir immer beibringen. Aber ich weiß nicht, wozu das gut sein soll.«
    »Du könntest dich mit vielen klugen Menschen unterhalten«, sagte Myron. »Und Homer lesen, Hesiod, Sophokles, Archilochos, Sappho, Aristophanes – all die wunderbaren Dichter! Aber ich muss jetzt wirklich …«
    * »Lycoris? Das ist ein griechischer Name. Stammst du aus Griechenland?«
    »Nein«, sagte ich, »ich wurde in Misenum geboren. Aber meine Eltern stammen aus Griechenland.«
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    »Pah!«, machte Delia. »Mein Vater ist auch ein toller Dichter. Und der schreibt auf Latein.«
    »Ich weiß«, sagte Myron. »Ich kenne seine Gedichte. Sie sind gut. Jedenfalls für einen Römer.«
    »Was soll das denn nun wieder heißen?« Delia stampfte wütend mit dem Fuß auf den
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