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Das Lied von Anevay & Robert (The Empires of Stones) (German Edition)

Das Lied von Anevay & Robert (The Empires of Stones) (German Edition)

Titel: Das Lied von Anevay & Robert (The Empires of Stones) (German Edition)
Autoren: Erik Kellen
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Dame
     
    Es war die zwölfte Tür nach der vierten Abzweigung vor der sie Halt machten. Waren die anderen Räume, von denen der lange Gang unterbrochen wurde, allesamt mit mechanischen Schlössern gesichert, so war diese Tür fast einladend. Ein einfaches, silbernes Schild war auf das gebeizte Holz geschraubt. Darauf waren seltsame, gravierte Striche eingeprägt und darunter stand in verschnörkelter Schrift: Redbliss .
    Fingermann klopfte fast zaghaft dagegen und machte sofort wieder einen Schritt in den Gang zurück. Angst. Er also auch.
     Unendliche Herzschläge lang geschah nichts außer einem unangenehmen Warten. Dann erklang eine melodische Stimme, gedämpft durch die Tür zwar, aber sie hatte Wirkung. Herbst. Blütenstaub. Wind.
    Die Tür wurde geöffnet, A wurde hinein geschoben. Holz. Eisenholz. Jeder Winkel roch danach. Ein vertrauter, alter Geruch, wie sonnengetrocknete Erde. Ein Moment der Wut überkam sie, denn jeder wusste, Eisenbäume gab es nur noch an wenigen Orten. Aber dass ein ganzer Raum damit einfach nur vertäfelt war, erschien ihr so verkehrt, wie die Hand zu erheben zum Schutz gegen Wind. A wusste, dass man Magie in diesen Bäumen wähnte, doch mochte sie nicht, dass man sie deshalb wie eine Trophäe benutze, nur um zu zeigen, dass man es konnte.
    »Sollen wir sie anschnallen, Madame? Sie war ziemlich wild da draußen.« Die Frage klang fast gleichgültig. Unsichtbar hatte er ihr wehgetan mit seinem Klauengriff und sie dann hereingetragen. Er war der Schatten gewesen, an dem nicht einmal eine Schlange vorbei kam, sie wusste es. Unüberwindbar? Nein! Er verlagerte das Gewicht seines linken Beins abrupt auf das rechte. Ein unterdrücktes Zischen entwich seinem Mund.
    Hinter dem verzierten Tisch saß eine graue Dame. Anders konnte man die Frau nicht beschreiben. Einen Augenblick gab es nur sie und A. Ein graues, strenges Kostüm floss von ihren kläglichen Schultern, die aber straff Haltung bewahrten, bis in die knochigen Hände. Eine gestärkte, weiße Bluse darunter, mit einem Kragen, der wie eine geschliffene Waffe aussah. Sie nahm langsam einen schwarzen Füllfederhalter aus einem schmuckvollen Set, rückte ein Klemmbrett zurecht, blätterte eine Seite auf die andere. Rechtshänderin, mit einer unscheinbaren Narbe auf dem Zeigefinger. Wetterfühlig. Neben ihr, am Rande des Tischs, lag eine graue Haube. Ihre blonden Haare waren hochgesteckt und auf dem Kopf zu einer Schnecke gedreht, ganz Bild, nicht Mensch. Das Gesicht herbe Schönheit, die Nase etwas zu spitz, das verlieh ihr Rechthaberei. Die Wangenknochen hoch und nordisch.
    A wurde in einen Stuhl gedrückt. Die verletzte Hand hing schlaff herunter, ihr Stolz aber blickte auf. Erst jetzt sprach die graue Dame. Ganz leise, fast warm.
    »Sie wird keine Probleme machen, Jegor. Danke.« Die Antwort darauf war wortlos, A hörte nur, wie sich die Tür schloss, und Fingermanns Enttäuschung konnte sie förmlich riechen. Der andere Duft war kalt. Der, der sie gepackt hatte. Jagor. Sie merkte sich den Namen ebenso wie seinen ekelhaften Geruch.
    »Dein Name?«
    Sie sah A nicht einmal an.
    »A«, nuschelte Anevay. Es klang hohl und mit einem ausgeschlagenen Zahn irgendwie unehrlich.
    »Das ist kein Name«, erwiderte sie, den Blick nicht einmal von den Papieren hebend, »sondern nur ein gutturaler Laut!«
    »A«, wiederholte Anevay mit gespielter Demut. Sie wollte nicht, dass jemand den Kosenamen, den ihr Vater ihr gegeben hatte, erfuhr. Nicht hier.
    Jetzt sah sie A an, die graue Dame. Mit grauen Augen.
    »Nach dem Gesetz des Staates New York und seiner föderierten Verbündeten sowie der baldigen Gebiete, so es Gottes Wille ist (damit waren wohl alle anderen Teile des Kontinents gemeint), ... bist du eine Gefallene. Und ich nehme mich der Gefallenen mit Herzen an.« Ihre monotone, sanfte Stimme rieb etwas in ihr ab.
    A sah sich um, verstohlen und zerschlagen. Ihre Hand lag nutzlos in ihrem Schoß. Das Blut auf den Lippen trocknete bereits. Sie wollte mit der Zunge drüberstreichen, aber sie hielt sich zurück.
    Hinter der grauen Dame waren drei schmale Fenster. A hatte bereits ihren Orientierungssinn verloren, seit sie aus diesem verdammten Auto gesprungen war. Hier, zwischen gemauerten Wänden, wurde es nicht besser. Aber die Sonne drang noch nicht herein, also war es nicht Osten.
    Der Raum war effizient eingerichtet. Nüchtern, beinahe zu nüchtern. Ein langer Schreibtisch, nur mit den nötigsten Dingen darauf. Eine Wolframlampe links, die trotz
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