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Das Lied vom Schwarzen Tod: Historischer Roman (German Edition)

Das Lied vom Schwarzen Tod: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Lied vom Schwarzen Tod: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Gerit Bertram
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von ihrem Bruder trennte, schien ihm nicht das Geringste auszumachen.
    Weder Sebastian noch Anna kamen in dieser Nacht zur Ruhe. Nachdem der Bruder ihr mehrmals hoch und heilig hatte versprechen müssen, Martin alsbald alles zu erzählen, und sie einander versichert hatten, eine Möglichkeit für einen Besuch zu finden, kauerten die Geschwister auf einem der Betten, die Hände ineinander verschlungen. Ihre Verzweiflung schien wie eine Gewitterwolke über der Kammer zu schweben. Irgendwann sackte Annas Kopf auf Sebastians Schulter, denn während der stillen Stunden hatte sie jede Fluchtmöglichkeit im Geist durchgespielt, jeden heimlichen Pfad durchwandert, der aus der Stadt hinausführte. Aber wie sorgfältig sie ihre Pläne auch schmiedete, um dem Kloster zu entgehen, am Ende musste Anna sie alle verwerfen. Gerald Pfanner war in Nürnberg eine bekannte Persönlichkeit, er würde seine Beziehungen nutzen und die undankbaren Geschwister suchen lassen.
    Als der Morgen schließlich anbrach und Anna die Schritte des Onkels auf der Treppe vernahm, erhob sie sich von der Schlafstatt und blickte den Bruder reglos an.
    » Ich komme mit nach unten « , stammelte Sebastian, ohne ihre Hand loszulassen.
    In diesem Moment betrat Gerald Pfanner die Kammer mit ernster Miene. » Guten Morgen, ihr beiden. «
    Mit Befriedigung stellte Anna fest, dass auch sein Äußeres nicht eben frisch und ausgeruht wirkte.
    Der Gewandschneider blinzelte. » Bist du fertig, Anna? Der Fuhrmann wartet bereits. Mach rasch. «
    Sie nahm ihr Bündel an sich und ging hoch erhobenen Hauptes, wenn auch mit steifen Gliedern, an ihm vorbei.
    » Schwester … « Sebastian drückte warnend ihren Arm. Sein Gesicht war so bleich wie die weiß gekalkte Wand des Flurs.
    Anna schüttelte ihn ab und lief die Treppenstufen hinunter, doch er folgte ihr mit schnellen Schritten. Am Treppenaufgang hielt er sie einen Moment lang umfangen.
    » Wir sehen uns bald, Schwesterchen, glaub mir. «
    Sie hielt ganz still, küsste ihn, öffnete die Tür mit einem Ruck und zog sie wieder ins Schloss.
    Ein runzeliger, gutmütig aussehender Mann saß auf dem Bock des Karrens und lüftete den Hut zur Begrüßung. Sie nickte ihm zu und sprang auf, ohne sich noch einmal umzublicken. Wenn sie dies täte, würde sie gewiss die Fassung verlieren oder dem Onkel etwas entgegenschleudern, das ihr nicht zustand. Also kniff sie die Lippen zusammen und starrte blind auf die vor ihr liegende Gasse, die sie aus Nürnberg herausführen würde, einem ungewissen Leben entgegen.

KAPITEL 4
    A nna fuhr zusammen, als sich die schweren, in die hohen Klostermauern eingelassenen Eichentüren hinter ihr schlossen. Eine in die helle Tracht der Dominikanerinnen gekleidete Frau redete freundlich auf sie ein, doch die Worte rauschten an ihr vorbei und fügten sich in die Unzahl fremder Eindrücke ein.
    » Anna? «
    Sie sah auf.
    » Komm mit, ich zeig dir deine Kammer, in der du von nun an leben wirst. Wir legen hier viel Wert auf Zucht und … «
    Widerstandslos folgte sie der Ordensschwester durch einen kreuzförmig angelegten, zum Innenhof des Klosters offenen Gang. Als sie ein mehrstöckiges Gebäude betraten und eine Steintreppe hinaufstiegen, hätte Anna am liebsten auf dem Absatz kehrtgemacht. Bald darauf stand sie in einem winzigen Raum, dessen einziger Schmuck das Kruzifix über dem schmalen Bett war.
    Sie ließ den Blick über die gekalkten Wände zu der Truhe schweifen, auf der eine Wachskerze stand. Daneben befanden sich ein Schlageisen, ein Feuerstein und ein Stück Zunderpilz, um sie entzünden zu können. Auf einem Teller lag das Abendessen, dem sie jedoch keine Beachtung schenkte. Fröstelnd ließ sie sich auf das Bett sinken. Martin. Der Schmerz, der sie allein bei dem Gedanken an ihn befiel, ließ sie nach Luft schnappen. Was sollte nun aus ihnen und ihrer Liebe werden? Onkel Gerald wollte Martin eines Tages als seinen Erben einsetzen, das hatte er oft genug erwähnt. Wahrscheinlich hatte er seinem Ziehsohn im Streit vorgehalten, ihn damals als kleines Kind aufgenommen und großgezogen zu haben. Aber Martin war ein kluger und besonnener Mann, der seine Ziele zu verfolgen wusste. Sicher würde es ihm gelingen, den Vater umzustimmen. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis er bei der Mutter Oberin vorsprechen würde, um sie hier herauszuholen.
    Anna lächelte. Sie konnte es kaum erwarten, Martin wiederzusehen. Wie mochte es Sebastian inzwischen ergangen sein? Wenn sie nur schon wieder zu Hause
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