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Das Lied vom Schwarzen Tod: Historischer Roman (German Edition)

Das Lied vom Schwarzen Tod: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Lied vom Schwarzen Tod: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Gerit Bertram
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Getuschel und Gekicher der anderen Klosterschülerinnen, wenn sie sich unbeobachtet fühlten. Sie rollte sich zusammen und schloss die Augen.
    Während sie so dalag, horchte Anna in die Stille ihrer Kammer. Wie sehr sie die Stimmen ihrer Eltern und Brüder vermisste. Martins Lachen. Seine Küsse. Hier hingegen war jeder Tag gleich.
    Sebastian fluchte leise, als der Knochen, aus dem er einen Kamm hatte schnitzen wollen, mit einem hässlichen Knirschen zerbrach. Es war Februar geworden. Über zwei Monate war es nun schon her, seit er die Lehre bei dem Beinschnitzer begonnen hatte, und immer noch passierten ihm diese verflixten Missgeschicke.
    » Junge « , ertönte sogleich die polternde Stimme seines Meisters, » wie oft muss ich es dir noch sagen? Du sollst nicht mit roher Gewalt arbeiten! Zart, Junge, ganz zart. « Der Mann in mittleren Jahren schnalzte mit der Zunge. » Mach mal Platz. «
    Sebastian rückte zur Seite, damit sich sein stämmiger Meister neben ihn auf die Bank setzen konnte.
    » Ich zeig es dir noch mal. « Er nahm dem Jungen das Messer aus der Hand, griff nach einem unversehrten Knochenstück und setzte die Klinge an. » Behandle den Knochen vorsichtig. Stell dir vor, er wäre ein hübsches Weib, das du streicheln willst. « Stöckl zeigte seine großen gelblichen Zähne. » Wie du das anstellen musst, weißt du sicher! «
    Sebastian verzog das Gesicht zu einem schiefen Grinsen, er würde sich hüten, etwas von seiner Unwissenheit in diesen Dingen preiszugeben. Trotz seiner siebzehn Lenze hatte er noch nie die Haut eines Mädchens berührt, geschweige denn mehr gesehen, als er von seiner Schwester kannte. Geträumt hatte er allerdings schon so manche Nacht davon und fragte sich im Stillen, welche Geheimnisse es auf diesem Gebiet wohl noch zu entdecken gäbe. Mädchen. Bei dem Gedanken fühlte er, wie ihm die Röte bis unter die Haarspitzen kroch.
    » Um ein guter Beinschnitzer zu werden, brauchst du Feingefühl und eine sichere Hand. « Stöckl blinzelte ihn an. » Scharfe Augen natürlich auch. Die hast du zumindest. Hier, versuch’s noch mal. «
    Der Junge senkte die Lider.
    » Mach nicht so eine Grabesmiene, das wird schon! Und schließ die Windläden, sonst frieren uns noch die Finger ein. «
    Mit diesen Worten wendete sich der Meister ab und begab sich an seine Werkbank, um mit einer Säge einen Knochen in seine grobe Form zu bringen. Stöckl verwendete am liebsten die Mittelfußknochen vom Rind. Diese waren hart genug, leicht zu reinigen und für die Fleischhauer ohnehin unbrauchbar.
    Sebastian stand auf und trat aus der Tür, um die Läden zu schließen. Beißend kalter Wind empfing ihn und zerrte an seiner Kleidung. In der Gasse war es unheimlich still. Er vernahm Schritte und warf einen Blick über die Schulter. Ein mit einem Ledermantel bekleideter Mann stand nur ein paar Fuß von ihm entfernt vor einem der Häuser. Gerade nahm er ein Tuch vom Mund und setzte sich eine schwarze Kapuze auf den Kopf. Eine Pesthaube! Wieder musste jemand ganz in ihrer Nähe an Pestilenz erkrankt sein. Es schauderte Sebastian, wenn er daran dachte, dass Gebrechen, Fäulnis und Tod nur einen Atemzug entfernt Einzug gehalten hatten. Nahm das Unheil denn gar kein Ende? Mariä Lichtmess war vorüber, und die Pest wütete nun schon seit sieben Monaten in der Stadt. Wer sich noch auf den Gassen Nürnbergs bewegte, ging gesenkten Hauptes und bedeckte Mund und Nase. Die Gesichter der Menschen waren von Leid und Verlust gezeichnet, jede Freude war aus ihren Mienen verschwunden. Ruckartig wendete der Junge sich ab, schloss die Windläden und huschte in die Werkstatt zurück. Doch das Frösteln, das ihn beim Anblick des Arztes mit der Kapuze ergriffen hatte, blieb.
    So sehr er auch versuchte, das Bild seiner Schwester aus dem Geist zu verbannen, immer wieder schob sich Annas erstarrte Miene, als sie voneinander Abschied genommen hatten, in sein Bewusstsein zurück. Seine Schwester im Kloster. Wenn es eine Person gab, die nicht für dieses Leben gemacht war, dann sie. Mutter hatte schon damals immer gesagt, Anna bräuchte mal einen Ehemann mit einer festen Hand. Jemand, der in der Lage war, ihr Temperament zu zügeln, und der ihr im Geiste ebenbürtig war. Bedauernd griff er nach dem dünnen Knochenstück und versuchte, daraus einen Kamm zu fertigen.
    Am selben Abend, nachdem Anna das Haus des Onkels verlassen hatte, war Martin heimgekehrt, und Sebastian hatte sein Versprechen eingelöst, dem Geliebten seiner Schwester
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