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Das Lied der schwarzen Berge

Das Lied der schwarzen Berge

Titel: Das Lied der schwarzen Berge
Autoren: Heinz G. Konsalik
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unangenehmes Gefühl klomm in Ralf empor, das Gefühl von Angst und Schrecken und einer plötzlichen Feigheit.
    »Sie hat dir erzählt …«, sagte er stockend.
    Fedor nickte. »Sie hat gesagt, daß du wiederkommst.«
    »Und was weiter?«
    »Sonst nichts, Herr. Aber wir freuen uns, weil du Zabari noch einmal sehen willst.«
    Aufatmend drückte Meerholdt Fedor die Hand. Dann stieg er in den Wagen und schloß mit festem Zug hinter sich die Tür. Der Monteur kletterte auf die Plattform und setzte sich neben den am Kran hängenden kleinen Wagen Ralfs, der Fahrer schob die Mütze in den Nacken und ließ den Motor an.
    Er heulte auf, er durchrüttelte den ganzen Wagen, er füllte das Dorf mit unbekanntem, fremdem Lärm. Noch einmal hob Ralf grüßend die Hand, dann zog der Wagen an und ratterte über die steinige Dorfstraße dem Pfad entgegen, der Zabari wie durch einen dünnen Faden mit der übrigen Welt verband.
    Am Ausgang des Dorfes, dort, wo der Wald die Felsen hinaufkletterte und der Pfad nach einer Biegung begann, sich die schwarzen Felsen hinaufzuschlängeln, stand allein vor einem niedergestürzten großen Stein Rosa und sah dem Wagen entgegen. Als er deutlich zu sehen war, winkte sie mit beiden Armen, und die Tränen liefen ihr über die Wangen den Hals hinab. Sie wischte sie nicht ab … sie winkte, und ihre langen Haare umflatterten das nasse Gesicht.
    Meerholdt fuhr von seinem Sitz empor, als er Rosa am Wege stehen sah. Er faßte die Hand des Fahrers und drückte sie hart. »Anhalten!« rief er laut. Kreischend bremste der Wagen, er riß die Tür auf und sprang auf den Weg. Er wollte auf Rosa zugehen, aber sie wandte sich ab und rannte den Hang hinauf in den Wald. »Rosa!« schrie er. »Rosa! Bleib doch!« Er rannte ihr nach, aber sie war schneller, wie ein Reh sprang sie den Hang hinauf und hetzte den rettenden Bäumen entgegen. »Rosa!« schrie er noch einmal. »Warum läufst du denn fort? Rosa!!« Dann war sie zwischen den Stämmen untergetaucht, und sein Ruf zerflatterte zwischen den Felsen.
    Langsam ging er zum Wagen zurück und kletterte auf den Sitz. Der Fahrer grinste ihn breit an.
    »Will nichts wissen, was?« sagte er und schaltete den Motor wieder ein. »Ist ein süßes Vögelchen …«
    »Fahren Sie und halten Sie das Maul!« schrie Meerholdt unbeherrscht. Der Fahrer stülpte die Unterlippe vor, duckte sich über das Steuer und lenkte den schweren Wagen über den schmalen Pfad. Vorsichtig fuhr er die Serpentinen hinauf und hinab, sich hart an den linken Felsen haltend.
    Von einem Vorsprung aus beobachtete Jossip den Abzug der Kolonne. Tanja neben ihm schnupperte in der Luft und knurrte. Da beugte er sich nieder und strich ihm über den Rücken. »Ruhig, Tanja, ganz ruhig, Duscha … nun sind wir wieder allein … Der Fremde ist fort und wird nicht wiederkommen. Nicht wahr, Tanja – ihn soll der Teufel holen …«
    Der Hund knurrte. Das Brummen des Motors durchschnitt die Stille der Landschaft … im Blau des Himmels kreisten wieder die Adler, die weiße Kuppe des Durmitor glänzte in der Sonne. Alles war wie vor vier Tagen … nichts hatte sich geändert, so, wie es sich nicht geändert hatte in den hundert Jahren vorher und sich nicht ändern würde in den hundert Jahren nachher. Nur ein Herz war aufgebrochen in diesen Tagen, ein einsames, sehnsuchtsvolles, glutheißes Herz, und ein wildes Blut war aus dem Damm der Natur gesprungen und hatte die Seele überspült mit Lust und Begehren, mit heißen Träumen und stammelnden Wünschen. Doch wer wußte es? Wer sah in diesen Tälern auf ein Herz?
    Fedor ging in den Wald und hackte Holz, Marina molk die Kühe und fütterte die Hühner, Rosa lief durch den Wald und weinte und schrie die Sonne an und breitete die Arme aus und rief: »Ich liebe ihn … ich liebe ihn …«
    Doch niemand hörte sie, und es war gut so für den Frieden in Zabari.
    Am Sonntag stieg Jossip hinab ins Tal nach Zabari. Er hatte sich den Schnurrbart abgenommen und sein nun glattes Gesicht nach der Art des ›Herrn‹ gewaschen. Genau hatte er von seiner Felsenweide aus beobachtet, wie Meerholdt sich an dem Brunnen wusch und rasierte. Auch Jossip hatte nun sein störrisches Haar glatt gestrichen, und ohne seinen wilden Schnurrbart sah er weniger verwegen und so jung aus, wie er in Wahrheit war.
    Er kam ins Tal, zwei fette Mutterlämmer hinter sich herziehend, vier edle Pelze über der Schulter und in weißen, eng anliegenden Hosen, umwickelt mit bunten Bändern. Von den Ärmeln
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