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Das Lied der Banshee: Roman (PAN) (German Edition)

Das Lied der Banshee: Roman (PAN) (German Edition)

Titel: Das Lied der Banshee: Roman (PAN) (German Edition)
Autoren: Janika Nowak
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auch schon mehrmals zusammen weggegangen, was ich vermutlich seinem Beschützerinstinkt und dem Umstand zu verdanken hatte, dass ich bei Unterhaltungen über Wochenendpläne nie etwas hatte beitragen können. Ich war nun mal ein ziemlicher Einsiedler.
    Da Thomas nie etwas unternahm, um mir näherzukommen, blieben wir Kollegen und Freunde. Eigentlich war mir das auch ganz lieb so, und mittlerweile war ich sogar so gut wie über die Verknalltheit hinweg. Wenn ich nicht in seinen wunderschönen Augen versank …
    So wie jetzt gerade! Ich wandte sofort den Blick ab.
    »Alles in Ordnung?«, fragte Thomas, den mein Schweigen sicher wunderte.
    Ich räusperte mich. »Äh … klar. Natürlich ist alles in Ordnung. Ich hab doch gesagt, dass ich mitkomme, oder hast du etwa Pilze in den Ohren?«
    Es war ein Wunder, dass Thomas mich nicht für die größte Zicke auf Erden hielt, doch wenigstens bekam er nicht mit, dass ich auf ihn stand.
    Manchmal tat er mir fast leid, er konnte schließlich nichts dafür, dass ich mich hin und wieder wie eine Zwölfjährige verhielt, die unvermutet Tokio Hotel gegenüberstand. Aber wenn ich mich seinetwegen dämlich verhielt, musste er es zumindest aushalten, dass ich ihn böse anfuhr.
    Tatsächlich schien es Thomas nicht allzu sehr zu stören. Er grinste nur.
    »Also gut, dann bis heute Abend, Kratzbürste. Ich nehme mal nicht an, dass du dich von mir abholen lässt, oder?«
    »Quatsch. Ich hab schon einen Freund, der mich abholt. Und der heißt U-Bahn.«

2. Kapitel
    E ine halbe Stunde später traf ich im Wohnheim ein, einem grauen Klotz unter noch graueren Klötzen am Stadtrand von Berlin. Zwar gab es in der Nähe so etwas wie eine Grünanlage, doch besonders jetzt, da sich das Wetter allmählich dem Winter zuneigte, half das auch nicht viel. Der plattgetretene und von der Sonne verbrannte Rasen sah trostlos aus, und die Blätter der wenigen Bäume verfärbten sich langsam braun, ohne sich vorher mit Rot oder Gelb aufzuhalten. Die bunten Gardinen, die einige Fenster schmückten, konnten auch nichts an der Tristesse dieses Wohngebiets ändern.
    Außer mir lebten hier noch einige andere Auszubildende verschiedener Sparten, die entweder keine andere Wohnung in Berlin bekommen hatten oder nur wenig Geld für eine Unterkunft ausgeben konnten.
    Ich hätte eigentlich gar nicht hier wohnen müssen, denn ich war gebürtige Berlinerin, und mein Vater lebte nach letztem Stand der Dinge immer noch in Mitte.
    Von mir aus könnte er allerdings genauso gut in Timbuktu hausen!
    Ich habe sechzehn Jahre lang ertragen, dass mein betrunkener Vater nie da war, wenn ich ihn brauchte. Als ich alt genug war zu begreifen, was mit ihm los war, habe ich versucht, ihn von seiner Sucht abzubringen, doch er wollte nichts davon hören. Als er mir für den Versuch, seine Schnapsflaschen in den Müll zu befördern, eine Ohrfeige gab, kapierte ich endgültig, dass ihm der Alkohol wichtiger war als seine Tochter.
    Manchmal fragte ich mich, ob unser Leben anders ausgesehen hätte, wenn meine Mutter nicht bei meiner Geburt gestorben wäre. Wäre mein Vater nicht alkoholkrank? Wäre ich ein normales Mädchen, das nicht beinahe jede Nacht von seltsamen Träumen heimgesucht würde?
    Aber alle Grübelei der Welt half nicht, mein Leben zu verändern, also war ich, sobald ich meinen Lehrvertrag in der Tasche hatte, ins Wohnheim gezogen. Ich hatte es einfach satt.
    Nun wohnte ich hier. Drittes Haus, vierter Stock, Zimmer Nummer 130. Als eine der wenigen Glücklichen musste ich es mir nur mit einer anderen teilen, während in manchen Zimmern bis zu vier Mädchen versuchen mussten, miteinander auszukommen. Wie erfolgreich dieser Versuch war, konnte man jeden Abend an dem durch die Flure hallenden Geschrei mitverfolgen.
    Als ich durch die Haustür trat, strömte mir der Geruch von Sellerie in die Nase. Offenbar war unsere Kochgruppe wieder aktiv. Sie bestand aus vier Mädchen, die regelmäßig die Küche blockierten und einen dumm anstarrten, wenn man irgendwas in die Mikrowelle steckte.
    Das Linoleum auf den Treppenstufen quietschte leise unter meinen Turnschuhen, während ich meinem Stockwerk zustrebte. Ein paar Mädchen aus der zweiten Etage kamen mir plappernd entgegen, beachteten mich aber nicht weiter.
    Durch das ständige Treppensteigen war ich mit der Zeit so fit geworden, dass ich nicht mal keuchte, als ich endlich den vierten Stock erreichte.
    Der Gang, von dem die Zimmertüren abgingen, hatte das Flair eines Amtsgebäudes,
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