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Das Lied der Banshee: Roman (PAN) (German Edition)

Das Lied der Banshee: Roman (PAN) (German Edition)

Titel: Das Lied der Banshee: Roman (PAN) (German Edition)
Autoren: Janika Nowak
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dunkelgrün, in seinem Haar war allerdings dermaßen viel Gel, dass sie aussahen wie nass, und seine Lippen waren schmal und so blutleer, dass man sie glatt übersehen konnte.
    Als der Mann meinen Blick auffing, hob er eine Augenbraue und unterzog mich ebenfalls einer gründlichen Musterung. Sofort betrachtete ich mit größtem Interesse meine Schuhspitzen. Mist. Was starrte ich auch einen Fremden in der U-Bahn an?
    Hoffentlich war er kein Zuhälter, die hatten manchmal auch komische Klamotten an. Im Gegensatz zur Mafia waren mir Zuhälter in Berlin schon über den Weg gelaufen. Ganz in der Nähe unserer Werkstatt gab es einen »Club«, dessen roter Schriftzug nachts weit über Berlin leuchtete. Vielleicht war der Mann ja zu einem Bewerbungsgespräch dorthin unterwegs.
    »Nächster Halt Onkel Toms Hütte.«
    Als Sekunden später der Zug hielt, sprang ich auf und ging zur Tür. Dabei blickte ich mich kurz nach dem Fremden um. Offenbar hatte er nicht die Absicht, ebenfalls auszusteigen, doch er sah mir direkt in die Augen, weshalb ich mich schnell wieder umdrehte. Selbst als ich draußen war, meinte ich seinen Blick noch immer wie eine kalte Berührung im Rücken zu spüren. Aber vermutlich war das nur der Luftzug.
    Als die U-Bahn wieder anfuhr, schüttelte ich mich, um das komische Gefühl loszuwerden. Was war denn nur los mit mir? Das war weiß Gott nicht die seltsamste Begegnung, die ich je in der U-Bahn gehabt hatte. In Berlin liefen genug schräge Vögel herum.
    Sonst machte ich es wie die meisten Berliner: Seltsames einfach ignorieren oder sich im Stillen darüber lustig machen. Aber diesmal war es etwas anderes.
    Wahrscheinlich musste mein Verstand nur in die Gänge kommen, um diese Begegnung zu verdrängen. Also besorgte ich mir einen heißen Kaffee, setzte mit dem Pappbecher in den Händen den Weg in die Werkstatt fort und beschloss, den seltsamen Mann zu vergessen.

    Als ich eine Stunde später am Sägetisch der Tischlerwerkstatt Kienau stand und versuchte, das Brett gemäß der Markierung des Gesellen am Sägeblatt vorbeizuführen, brütete ich erneut über der Begegnung mit dem Fremden. Das mit dem Vergessen hatte für knapp fünf Minuten funktioniert.
    Warum hatte er mich bloß so angestarrt? Als wollte er sich jedes Detail meines Gesichts merken. Suchte er etwa Mädchen für irgendeinen Club? Eine, die einem Eiszapfen ähnelte und eine seltsame Augenfarbe hatte, war vermutlich eine Seltenheit. Eine, die bestimmt alle Kunden verscheuchen würde …
    Aber was auch immer der Grund für sein Starren war, ich würde den Kerl so oder so nie wiedersehen. Daher konzentrierte ich mich auf das Brett, in das sich die Zähne des Sägeblatts gierig hineinfraßen und zum Dank dünnes Holzmehl ausspuckten.
    Beim Treppenbau musste man sehr gewissenhaft sein, schon ein paar Millimeter Abweichung konnten dazu führen, dass die Treppe krumm und schief wurde. Und der Meister einen Anfall bekam.
    Bei meinen ersten Versuchen hatte ich mich angestellt wie der letzte Mensch, aber mittlerweile gelang es mir recht gut. Ich konnte sogar schon Ornamente sägen.
    Meine Mitbewohnerinnen im Wohnheim wunderten sich häufig genug über meinen Job, der zugegebenermaßen für ein Mädchen ziemlich ungewöhnlich war. Doch erstens arbeitete ich gern mit Holz und zweitens … mochte ich das schrille Kreischen der Säge irgendwie. Es gab mir ein Gefühl der Sicherheit, fast Geborgenheit. Das hatte ich natürlich noch nie jemandem erzählt. Ich wollte ja nicht endgültig zum Sonderling abgestempelt werden.
    Plötzlich tippte mir jemand auf die Schulter.
    Verdammt noch mal!
    Obwohl ich erschrak, gelang es mir, die Hände ruhig zu halten und weiterzumachen, bis das Brett fertig war. Danach schaltete ich die Säge ab, und während das kreisrunde Blatt allmählich langsamer wurde, blickte ich Thomas vorwurfsvoll an.
    »Kannst du nicht warten, bis ich fertig bin?«
    Thomas war vielleicht drei Jahre älter als ich und längst fertig mit der Lehre, dennoch benahm er sich manchmal wie ein dämlicher Praktikant. Wenn er den Chef beim Sägen gestört hätte, hätte er sich die Standpauke seines Lebens abholen können. Aber ich war ja nur der Lehrling.
    »Du solltest eigentlich wissen, dass man andere beim Sägen nicht stört!«
    »Ja, das weiß ich«, gab er frech grinsend zurück. »Aber abgesehen davon, dass deine Konzentration unerschütterlich ist, wollte ich dich was fragen.«
    »Hätte das nicht bis nachher Zeit gehabt?« Ich war echt sauer. Zwar
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