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Das Licht von Shambala

Das Licht von Shambala

Titel: Das Licht von Shambala
Autoren: Michael Peinkofer
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weniger unverwandt. Wenn sie eingeschüchtert war, so verbarg sie es gut. Es war kaum zu glauben, wie rasch die Standesunterschiede in diesen Tagen schwanden. Im Angesicht des Gelben Todes waren alle Menschen gleich, unabhängig von ihrer Hautfarbe, ihrer Herkunft und ihrem Besitz. Gleichwohl hielt sich unter den Weißen das hartnäckige Gerücht, Yellow Jack würde die Farbigen und Mischlinge verschonen ...
    »Ich verstehe Sie gut«, versicherte die Kreolin und strich eine Strähne ihres blauschwarzen Haars zurück. Ihr Französisch war flüssig und nahezu akzentfrei, ihre Stimme tiefer und rauer, als er es erwartet hatte. »Und ich weiß, warum Sie hier sind.«
    »Man hat mir gesagt, du verfügst über das zweite Gesicht«, erwiderte er. »Kannst du wirklich in die Zukunft sehen?«
    »Ich sehe Dinge«, verbesserte sie. »Manchmal die Zukunft, manchmal auch die Vergangenheit.«
    »Ich bin an beidem interessiert«, stellte Lemont klar.
    »Was wollen Sie wissen?« Spott schwang in ihrer Stimme mit. »Ob Sie die Seuche überleben werden? Die meisten fragen mich das.«
    »Ich nicht.« Lemont schüttelte den Kopf. »Vielmehr bin ich an diesem hier interessiert.« Er griff unter seinen Umhang und zog einen Gegenstand hervor, den er vor der Kreolin auf den Tisch stellte. Es war ein metallener Würfel, dessen
    Kantenlänge etwa eine halbe Handspanne betrug. Die Oberfläche war von leichtem Rost überzogen. In die Seitenflächen des Kubus waren griechische Schriftzeichen eingraviert; in die Oberfläche ein stilisiertes Symbol, das ein Auge darstellte.
    »Was ist das?«, fragte sie und berührte das Gebilde zaghaft mit dem Finger. »Es ist sehr alt.«
    »In der Tat«, bestätigte Lemont. »Dieser Würfel hatte schon viele Besitzer und ebenso viele Namen. Einer davon lautet Codicubus.«
    »Codicubus«, echote sie und legte vorsichtig ihre Handfläche darauf. Ein leichtes Beben schien ihren Körper daraufhin zu durchlaufen, wie Lemont irritiert feststellte.
    »Woher haben Sie diesen Gegenstand?«, wollte sie wissen.
    »Das braucht dich nicht zu interessieren.« Er schüttelte den Kopf, während von draußen erneut das schaurige Läuten der Totenglocke zu hören war, zum ungezählten Mal in dieser Nacht. »Wirst du mir das Geheimnis dieses Gegenstands offenbaren? Ja oder nein?«
    »Wer sagt Ihnen, dass es ein Geheimnis gibt?«
    »Du solltest nicht versuchen, Spiele mit mir zu treiben«, warnte er. »Bei feisten Plantagenbesitzern, die um ihr jämmerliches Leben bangen, mag dies verfangen, aber nicht bei mir. Wirst du mir helfen oder nicht?«
    »Warum sollte ich?«
    »Wer weiß? Vielleicht, weil ich dich reich dafür belohnen werde.«
    »Ich habe, was ich brauche«, erwiderte sie. »Sie können mir nichts geben, was ich nicht schon habe.«
    »Dann eben nicht«, konterte er. »Aber wenn du das bist, was die Leute behaupten, wirst du diesen Gegenstand ganz von selbst untersuchen wollen. Denn dieser Würfel ist ein echtes Mysterium, die Pforte zu einer anderen Welt.«
    Die Kreolin blickte überrascht zu ihm auf, und einmal mehr war er gebannt von ihrer Schönheit. Er musste auf der Hut sein, durfte sich nicht einnehmen lassen von den Reizen eines Weibes, dessen Blut so unrein war wie das Brackwasser unten im Hafen. Dennoch konnte er den Blick nicht von ihr wenden, und auch sie schien auf eigenartige Weise fasziniert zu sein.
    »Sie wissen es«, stellte sie fest.
    »Was?«, fragte er ungehalten.
    »Dass dies kein gewöhnlicher Gegenstand ist«, erwiderte sie vorsichtig. »Er ist sehr alt.«
    »Das habe ich dir gesagt«, erwiderte er unbeeindruckt.
    »Er wurde weitergegeben über Generationen«, fuhr die Kreolin in ihrem rauen Alt fort, »und er gehört Ihnen nicht.«
    »Was fällt dir ein, Weib?«, fauchte Lemont.
    »Er stammt von jemandem, der ihn widerrechtlich in seinen Besitz gebracht hat«, beharrte die Kreolin unbeirrt - und Lemont wusste, dass seine Wahl richtig gewesen war.
    Die junge Frau konnte unmöglich wissen, wie er an den Würfel gelangt war, denn er hatte noch nie jemandem davon erzählt. Also verfügte sie tatsächlich über die Gabe. Lemonts Neugier erwachte. Nun würde sich zeigen, ob die Kreolin ihren Vorgängern überlegen war, die wie sie versucht hatten, dem Geheimnis des Würfels auf die Spur zu kommen, dabei jedoch allesamt den Verstand verloren hatten.
    »Mehr«, verlangte er ungerührt, »ich will mehr wissen, hörst du? Ich will alles erfahren!«
    Sie schien sich zu besinnen. Mit geschlossenen Augen wandte
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