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Das letzte Zeichen - Die Verschwundenen: Band 2 (German Edition)

Das letzte Zeichen - Die Verschwundenen: Band 2 (German Edition)

Titel: Das letzte Zeichen - Die Verschwundenen: Band 2 (German Edition)
Autoren: Gemma Malley
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wütend. Wütend über das, was passiert war, über die Zerstörung, die Verwüstungen, die die Schreckenszeit angerichtet hatte. Aber ich erkannte, dass Wut selbst eine destruktive Kraft ist und dass ich sie überwinden musste, wenn wir einen wirklich guten Ort zum Leben aufbauen wollten.«
    Er sah erst Raffy an, dann Evie, und beide wurden blass. Es war, als würde Benjamin tief in ihr Inneres blicken und die Wut, die Enttäuschung und den Groll darin entdecken.
    Evie wollte Benjamin gerade versichern, dass auch sie bereit seien, ihre Wut zu vergessen, aber zu ihrem Erstaunen ergriff Raffy als Erster das Wort. »Wut dient einem Zweck, wenn sie sich gegen etwas richtet«, sagte er und trat einen Schritt vor. »Jetzt sind wir bereit, unsere Wut zu vergessen. Wir wollen glücklich sein. Wir wollen hier sein.«
    Evie hörte Raffy mit offenem Mund zu, weil sie ihn noch nie so ernst erlebt hatte: kein sarkastischer Unterton, kein vielsagender Blick. Er spürte ihren Blick und drehte sich zu ihr um. Ein tiefes Glücksgefühl stieg in Evie auf, denn zum ersten Mal wirkte Raffy so, als hätte er seinen Weg gefunden. Er machte keinen gequälten Eindruck, er war nicht wütend oder düster. Stattdessen war seine Miene entschlossen und konzentriert, und das war ansteckend.
    Benjamin lächelte erneut. »Freut mich zu hören. Seht ihr, wir sind dabei, uns hier ein neues Leben, eine neue Zukunft aufzubauen. Die Vergangenheit ist woanders. Eure, meine, unser aller Vergangenheit. Wir können sie nicht ungeschehen machen, aber wir müssen uns auch nicht länger damit aufhalten. Wir können aus dem Geschehenen lernen und wir können weitermachen und in die Zukunft blicken. Aus dem schlimmsten Schmerz kann Stärke erwachsen, aus Leiden Entschlossenheit, aus Verzweiflung Liebe und Gemeinschaft. Und das haben wir hier. Gemeinschaft. Einen Ort, der denen gehört, die dort leben, der von ihnen regiert und organisiert wird. Ein Ort, wo jeder eine Funktion hat und wo jeder seinen Beitrag leistet. Hört sich das nach einem Ort an, wo ihr leben möchtet?«
    »Ja«, sagte Raffy sofort, und Evie nickte.
    »Gut«, meinte Benjamin. »Dann will ich euch jetzt ein bisschen über die Siedlung erzählen. Vor vielen Jahren gab es hier nicht viel. Aber der Fluss im Norden und die Hügel ringsherum haben uns Schutz geboten; ich wusste, dass das ein guter Platz für einen Neuanfang sein würde. Zuerst waren wir nur wenig Leute, ungefähr zehn Familien. Vor etwa dreißig Jahren haben wir die ersten Häuser gebaut und die ersten Felder bewirtschaftet. Wir wollten eine sichere, friedliche Gemeinschaft aufbauen, wo niemand Hunger leiden oder Angst haben musste. Aber vor allem wollte ich eine Siedlung errichten, wo die Menschen sich selbst verwirklichen, wo sie lernen und neue Dinge entdecken konnten und wo niemand an seiner Entfaltung gehindert wurde. Wo alle für die Kinder Verantwortung tragen, nicht nur deren Eltern. Wo jeder angespornt wurde, seine Aufgabe im Leben, seine Erfüllung zu finden. Das Leben ist nichts wert, wenn es nicht erfüllt ist, wenn wir keine Wertschätzung erfahren, stimmt’s?«
    Evie nickte, aber wieder war es Raffy, der das Wort ergriff und ein lautes Ja vernehmen ließ. Und als Benjamin fortfuhr, bemerkte Evie mit Verwunderung, wie Raffy sich vor ihren Augen verwandelte, wie sein Zynismus einer blauäugigen Verehrung Platz machte. Er hatte Benjamins Worten gelauscht, fasziniert von dessen Geschichte und dessen Hoffnungen für die Siedlung und für deren Bewohner. Raffy hatte schweigend zugehört, ohne den Blick zu senken oder wie sonst von einem Fuß auf den anderen zu treten, und Benjamin mit großen Augen aufmerksam angesehen. Wie ein Hund, dachte Evie unwillkürlich. Wie die Hunde in der Stadt, die ihrem Herrchen auf Schritt und Tritt folgten, die ihm nie von der Seite wichen und geduldig auf etwas zu fressen warteten.
    »Nun«, sagte Benjamin schließlich, nachdem er ihnen von der Gründung der Siedlung erzählt hatte, davon, dass alle gleich waren, und von der Zurück-zur-Natur-Philosophie, und dass er dafür sorgen wollte, dass alle genug Kleidung hatten und es keinem an Nahrung für Leib und Seele mangelte. »Was meint ihr, könnt ihr etwas beitragen zu unserer Gemeinschaft? Was bringt ihr beide in die Siedlung mit ein?«
    Evie hatte besorgt zu Benjamin aufgesehen. Obwohl dies nicht die Stadt war und obwohl sie nicht mehr von dem System, von Rängen und von einer Mutter beherrscht wurde, die sie ständig kritisierte und
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