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Das letzte Zeichen - Die Verschwundenen: Band 2 (German Edition)

Das letzte Zeichen - Die Verschwundenen: Band 2 (German Edition)

Titel: Das letzte Zeichen - Die Verschwundenen: Band 2 (German Edition)
Autoren: Gemma Malley
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dem Kuss erzählt in der Hoffnung, er könnte ihr verzeihen oder sie vielleicht sogar verstehen. Aber das konnte er nicht. Und seit damals hatte er sie nicht mehr aus den Augen gelassen.
    Ein paar Minuten später kam Evie zurück ins Schlafzimmer, mit dem festen Vorsatz, heute alles besser zu machen, Raffy nicht zu reizen und ihm keinen Grund zur Eifersucht zu geben.
    Ihr Zimmer war eines von vielen in einem niedrigen einstöckigen Gebäude, in dem fast hundert Menschen untergebracht waren und wo die Räume je nach Platzbedarf verteilt wurden. Ihr Zimmer war nur mit einem Bett, einem Stuhl, einem Schreibtisch und einem Bücherregal ausgestattet. Am Ende des Korridors befand sich die Dusche, die sie sich mit den anderen Paaren teilten. Die viereckige Rasenfläche hinter dem Haus durften alle Bewohner benutzen. Ringsherum lagen zugeteilte Parzellen, auf denen Obst und Gemüse angepflanzt werden konnten, um die wöchentliche Ration der Siedlung aufzubessern; in einigen Gärten wurden jedoch nur Blumen gepflanzt, weil, wie Benjamin zu sagen pflegte, Nahrung für die Seele genauso wichtig war wie Nahrung für den Körper.
    »Was arbeitest du heute?«, fragte Evie.
    »Ich helfe auf einem der etwas abgelegenen Felder beim Pflügen«, erwiderte Raffy und gähnte, »obwohl meine Schultern höllisch wehtun.« Evie drehte sich um und sah auf Raffys Schultern: Sie waren breit und die Muskeln spielten unter der Haut, ganz anders als noch vor einem Jahr. Offenbar war Raffy hier in der Siedlung plötzlich ein Mann geworden. Er war auch größer, aber seine breite Figur beeindruckte Evie am meisten. Sie passte zu ihm, genauso wie das sonnengebräunte Gesicht, das von widerspenstigen, zerzausten Haaren umrahmt wurde, die er sich nicht schneiden lassen wollte. Die harte Arbeit tut ihm gut und das Lachen und Herumalbern mit den Kollegen, dachte Evie. Jeden Abend kam er voller Schwung heim, auch wenn er sich dann gleich erschöpft aufs Bett fallen ließ.
    Davon hatte sie immer geträumt, als sie noch in der Stadt lebten, wo selbst eine harmlose Unterhaltung als schlimmes Verbrechen angesehen wurde. Hier konnten sie und Raffy Hand in Hand die Straße entlangschlendern, ohne dass jemand darüber Meldung machte, sie anstarrte oder ihnen sagte, wie verkommen sie seien.
    Und es gab keinen Lucas.
    Evie holte tief Luft, wie immer, wenn sie an Lucas dachte und sein Gesicht vor ihrem inneren Auge auftauchte.
    »Okay, Zeit zum Aufstehen«, sagte Raffy, stellte seine Tasse ab und beugte sich über sie. Er nahm ihr Gesicht in beide Hände, küsste sie zärtlich auf den Mund, ließ seine Finger durch ihr Haar gleiten und zog sie an sich. Evie liebte seine sonnengebräunten Hände, die so stark waren und doch so zärtlich.
    Sie schloss kurz die Augen und genoss den Moment, dann öffnete sie sie schweren Herzens wieder und sah auf die Uhr auf dem Nachttisch. Es war fast fünf. Punkt sechs begann die Arbeit in der Siedlung. Jeder Bezirk hatte einen eigenen Gemeinschaftsspeisesaal, wo das Frühstück serviert wurde. Wenn man später als 5.40 Uhr dort ankam, waren nach ihrer Erfahrung die guten Sachen alle schon aufgegessen.
    »Heute wird ein guter Tag«, meinte Raffy auf einmal, sprang vom Bett auf und schnappte sich ein Handtuch. »Nicht nur wegen der Anprobe. Alles ist gut, Evie. Wenn wir unsere Arbeit gut machen, wird auf dem neuen Feld so viel wachsen, dass es für einen ganzen Monat reicht. Simon will es mir zeigen.«
    Evie lächelte. Simon war ein erfahrener Bauer. Er hatte Raffy unter seine Fittiche genommen, und Raffy hatte schon eine Menge gelernt. Vor ein paar Wochen hatte er Evie erzählt, dass er zum ersten Mal in seinem Leben das Gefühl habe, etwas zu leisten, Teil von etwas zu sein und seinem Leben einen Sinn zu geben.
    »Man traut dir wirklich zu, ein ganzes Feld zu pflügen?«, zog Evie ihn auf.
    Raffy schlug mit seinem Handtuch nach ihren Knöcheln. »Pass auf, was du sagst«, meinte er grinsend. »Hier zollt man den Bauern Respekt.«
    Evie sah ihn nachdenklich an. Das ist es, schoss es ihr auf einmal durch den Kopf. Deshalb war er hier so glücklich. Zum ersten Mal in seinem Leben wurde Raffy von anderen respektiert und konnte aufrecht durch die Straßen gehen. Und dieser aufrechte Bauer liebte sie und hatte sie immer geliebt.
    Als er zur Tür ging, rief sie ihm nach: »Warte mal.«
    »Was ist?«, fragte Raffy, und als er sich umdrehte, schlang Evie ihm die Arme um den Hals. Ihre Zukunft. Die einzige Zukunft, die zählte. Wenn sie
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