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Das letzte Theorem

Das letzte Theorem

Titel: Das letzte Theorem
Autoren: Pohl Clarke
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musste nachweisen, dass Fermat sich geirrt hatte.

    Ranjit war besessen von der Idee, diesen Beweis zu erbringen, und er beschloss, während der nächsten Stunde darüber nachzusinnnen. Leider hatte er seinen Taschenrechner nicht dabei, denn sein bester Freund hatte ihm davon abgeraten, ihn mitzunehmen. »Erinnerst du dich noch an meinen Cousin Charitha?«, hatte Gamini gefragt? »Der als Hauptmann in der Armee dient? Er hat mich gewarnt, dass einige Wachleute, die in Zügen mitfahren, Taschenrechner beschlagnahmen. Sie verscherbeln sie dann zu einem Spottpreis. Deinen zweihundert Dollar teuren Texas-Instruments-Rechner würden sie für vielleicht zehn Dollar an jemand abgeben, der ihn dann nur dazu benutzt, um seine Zahlungen mit Bargeld zu addieren. Lass ihn also lieber hier.« Was Ranjit vernünftigerweise auch getan hatte.
    Dass er nicht auf seinen Taschenrechner zurückgreifen konnte, war ärgerlich, aber eigentlich unwichtig, denn das Schöne an Fermats Letztem Satz war dessen Schlichtheit. Was war schließlich simpler als a 2 + b 2 = c 2 ? Das hieß, in einem rechtwinkligen Dreieck ist das Quadrat der Hypotenuse gleich der Summe der Kathetenquadrate. (Der einfachste Fall besteht darin, wenn die Schenkel des Dreiecks jeweils drei und vier Einheiten lang sind, und die Hypotenuse dann fünf Einheiten beträgt, doch es gibt viele andere Fälle mit einheitlichen Lösungen.)
    Diese unkomplizierte Gleichung kann jeder selbst mithilfe eines Lineals und ein bisschen Arithmetik beweisen. Doch Fermat hatte jahrhundertelang in der mathematischen Welt für Aufruhr gesorgt, indem er behauptete, dass dies nur für die zweite Potenz gälte, nicht aber für die dritte oder höhere Potenzen. Und den Beweis dafür hätte er angeblich gefunden.
    Aber er veröffentlichte ihn nie. 1

    Ranjit streckte sich, gähnte und riss sich aus seinen Betrachtungen. Er hob einen kleinen Stein auf und warf ihn, so weit er konnte; in der Abenddämmerung verlor er ihn aus den Augen, lang ehe er drunten im Wasser landen konnte. Er lächelte. Na schön, gestand er sich ein, was andere Leute über ihn redeten, stimmte zum Teil sogar. Zum Beispiel war es nicht gänzlich verkehrt, wenn man ihm unterstellte, er sei besessen. Er hatte schon früh seine Interessensgebiete gewählt, hielt hartnäckig an ihnen fest und war nun so etwas wie ein Fermatianer. Wenn Fermat behauptete, er habe den Beweis für sein Theorem gefunden, dann stellte dies für Ranjit Subramanian wie für viele Mathematiker vor ihm eine Art Glaubensartikel dar, und er ging fest davon aus, dass dieser Beweis existierte.
    Damit meinte Ranjit jedoch nicht eine geistige Verirrung wie den sogenannten Wiles-Beweis, über den er mit seinem Mathematikprofessor an der Universität diskutieren wollte. Wenn man diesen schwerfälligen, verstaubten Blindgänger (er stammte aus den letzten Jahren des 20. Jahrhunderts) überhaupt als Beweis durchgehen ließ - und Ranjit scheute davor zurück, etwas als »Beweis« anzuerkennen, das kein Mensch aus Fleisch und Blut zu lesen vermochte -, dann konnte Ranjit dessen Gültigkeit nicht abstreiten. Wie er Gamini Bandara, kurz bevor dieser verflixte Pförtner die Tür aufgemacht und sie beide ertappt hatte, erklärte, sei es jedoch keineswegs der Beweis, den Pierre de Fermat gefunden haben wollte, als er die berühmte Randnotiz in sein Exemplar der Arithmetica des Diophant kritzelte.
    Ranjit grinste wieder, dieses Mal ein bisschen grimmig, weil er Gamini gleich darauf gesagt hatte, er würde Fermats Beweis selbst finden. Diese Bemerkung löste dann die Lachsalven und das freundschaftliche Gerangel aus, das schließlich zu dem geführt hatte, wobei der Pförtner sie erwischte. In der Erinnerung beschäftigte sich Ranjit so intensiv mit der Sache, dass er die Schritte seines Vaters nicht hörte und ihn erst bemerkte, als der alte Mann eine Hand auf seine Schulter legte und fragte: »So gedankenverloren?«

    Der Druck von Ganeshs Hand hinderte seinen Sohn am Aufstehen. Ganesh setzte sich neben ihn und musterte gründlich sein Gesicht, die Kleidung und den Körper. »Du bist dünn geworden«, meinte er vorwurfsvoll.
    »Du aber auch«, erwiderte Ranjit und lächelte. Er war ein wenig beunruhigt, denn auf dem Gesicht seines Vaters lag ein Ausdruck von Sorge und Kummer, den er noch nie an ihm gesehen hatte, und der gar nicht zu dessen üblicher heiterer Gelassenheit passte. »Keine Angst«, fügte er hinzu, »an der Universität kriege ich genug zu essen.«
    Sein
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