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Das Letzte Ritual

Das Letzte Ritual

Titel: Das Letzte Ritual
Autoren: Yrsa Sigurdardottir
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zusammengetan und die Kanzlei eröffnet hatten, waren sie so begeistert von den Büroräumen gewesen, dass sie sich auf eine Bedingung im Mietvertrag eingelassen hatten – die Tochter des Vermieters sollte als Sekretärin eingestellt werden. Damals konnten sie unmöglich ahnen, worauf sie sich einließen. Das Mädchen hatte ein hervorragendes Zeugnis von den Vormietern, einer Immobilienfirma, bekommen. Dóra war sich mittlerweile sicher, dass die Vormieter aus dem großartig gelegenen Büro am Skólavörðustígur nur ausgezogen waren, um diese Horrorsekretärin loszuwerden. Dóra war davon überzeugt, dass sie Recht bekämen, wenn sie wegen des höchst zweifelhaften Arbeitszeugnisses gegen die Vertragsklausel klagten. Doch damit wäre der gute Ruf, den sie sich bis jetzt erarbeitet hatten, hinüber. Wer wendet sich schon an eine Anwaltskanzlei, die sich unter anderem auf Vertragsrecht spezialisiert hat, aber die eigenen Verträge vermasselt? Selbst wenn sie Bella loswürden – gute Sekretärinnen gab es auch nicht wie Sand am Meer.
    »Dahat jemand angerufen«, nuschelte Bella, während sie gebannt auf ihren Computerbildschirm starrte.
    »Aha?« Dóra, die gerade ihren Daunenanorak aufhängte, schaute fragend auf und fügte wenig hoffnungsvoll hinzu: »Hast du eine Ahnung, wer es war?«
    »Nee. Hat Deutsch gesprochen, glaub ich. Ich hab ihn jedenfalls nicht verstanden.«
    »Wollte der Mann vielleicht noch mal anrufen?«
    »Weiß ich nicht. Hab aufgelegt. Aus Versehen.«
    »Für den unwahrscheinlichen Fall, dass dieser Mann noch einmal anruft, obwohl du eben aufgelegt hast, würdest du ihn mir dann bitte durchstellen? Ich habe in Deutschland studiert und spreche Deutsch.«
    »Hrmf«, stieß Bella hervor und zuckte mit den Schultern. »Vielleicht war’s auch kein Deutsch. Könnte auch Russisch gewesen sein. Außerdem war es eine Frau. Glaub ich. Oder ein Mann.«
    »Bella, wer auch immer anruft – eine Frau aus Russland oder ein Mann aus Deutschland, von mir aus auch ein sprechender Hund aus Griechenland –, würdest du ihn bitte durchstellen, ja?«
    Dóra wartete nicht auf eine Antwort – damit war sowieso nicht zu rechnen – und ging geradewegs in ihr schlichtes Büro.
    Sie setzte sich und schaltete den Computer ein. Ihr Schreibtisch war nicht ganz so unordentlich wie sonst. Sie hatte am Tag zuvor eine Stunde damit zugebracht, Papiere zu sortieren, die sich im letzten Monat angesammelt hatten. Dóra löschte ein paar Spam-Mails und Gags von Freunden und Kollegen. Danach waren noch drei E-Mails von Mandanten übrig, eine von ihrer Freundin Laufey mit der Betreffzeile Am Wochenende einen draufmachen und schließlich eine Mail von der Bank. Mist. Sie hatte bestimmt ihre Kreditkarte überzogen. Und ihren Dispo wahrscheinlich auch. Dóra beschloss, die Mail sicherheitshalber nicht zu öffnen.
    Das Telefon klingelte.
    »Anwaltskanzlei Innenstadt. Dóra am Apparat.«
    »Guten Tag, Frau Guðmundsdóttir?«
    »Guten Tag.« Dóra tastete nach Papier und Stift. Hochdeutsch. Sie ermahnte sich, die Frau immer zu siezen.
    Dóra kniff die Augen fest zu und hoffte, dass ihr Deutsch sie nicht im Stich lassen möge. Sie hatte die Sprache recht gut beherrscht, als sie an der Universität in Berlin ihren Juraabschluss gemacht hatte. Jetzt bemühte sie sich, die Wörter so korrekt wie möglich auszusprechen. »Womit kann ich Ihnen helfen?«
    »Ich heiße Amelia Guntlieb. Ich habe Ihren Namen von Herrn Professor Anderheiß erhalten.«
    »Ja, er hat mich in Berlin unterrichtet.« Dóra hoffte inständig, wenigstens bei der Wortwahl nicht völlig danebenzuliegen, weil sie spürte, dass sich ihre Aussprache verschlechtert hatte. In Island gab es nicht viele Gelegenheiten, Deutsch zu sprechen.
    »Ja.« Nach einer unangenehmen Pause fuhr die Frau fort: »Mein Sohn ist ermordet worden. Mein Mann und ich brauchen Hilfe.«
    Dóra dachte fieberhaft nach. Guntlieb? Der deutsche Student, dessen Leiche in der Uni gefunden worden war? Hieß der nicht Guntlieb?
    »Hallo?« Die Frau schien nicht sicher zu sein, ob Dóra noch in der Leitung war.
    Dóra beeilte sich zu sagen: »Ja, Verzeihung. Ihr Sohn. Ist das hier in Island passiert?«
    »Ja.«
    »Ich glaube, ich weiß, von welchem Mord Sie sprechen, aber ich muss gestehen, dass ich nur in den Nachrichten davon gehört habe. Sind Sie sicher, dass Sie mit der richtigen Person sprechen?«
    »Das hoffe ich. Wir sind mit den polizeilichen Ermittlungen nicht zufrieden.«
    »Ach?«, sagte Dóra
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