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Das Letzte Ritual

Das Letzte Ritual

Titel: Das Letzte Ritual
Autoren: Yrsa Sigurdardottir
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überrascht. Sie hatte den Eindruck, die Polizei hätte den Fall vorbildlich gelöst. Der Mörder war drei Tage nach der grausamen Tat festgenommen worden. »Sie wissen bestimmt, dass sie einen Mann verhaftet haben?«
    »Das ist uns bekannt. Wir sind allerdings davon überzeugt, dass er nicht der Schuldige ist.«
    »Warum nicht?«, fragte Dóra ungläubig.
    »Wir sind einfach davon überzeugt. Mehr will ich dazu nicht sagen.« Die Frau räusperte sich höflich. »Wir möchten, dass sich eine neutrale Person des Falls annimmt. Jemand, der Deutsch spricht.« Stille. »Sie müssen verstehen, wie schwer uns das fällt.« Wieder Stille. »Harald war unser Sohn.«
    Dóra versuchte, Anteilnahme zu zeigen, indem sie ihre Stimme senkte und langsamer sprach. »Doch, doch, das verstehe ich gut. Ich habe selbst einen Sohn. Ich kann mich natürlich unmöglich in die Lage von Ihnen und Ihrem Mann versetzen, aber ich möchte Ihnen mein aufrichtiges Beileid aussprechen. Allerdings bin ich nicht sicher, ob ich Ihnen helfen kann.«
    »Ich danke Ihnen für Ihre Anteilnahme.« Ihre Stimme war eiskalt. »Professor Anderheiß glaubt, dass Sie die Eigenschaften besitzen, nach denen wir suchen. Er sagte, Sie seien beharrlich, entschlossen und knallhart.« Stille. Dóra stellte sich vor, der Mann habe das Wort »frech« wohl nicht in den Mund nehmen wollen. Die Frau sprach weiter. »Und zugleich verständnisvoll. Er ist ein guter Freund der Familie und wir vertrauen ihm. Wären Sie bereit, den Fall zu übernehmen? Wir zahlen sehr gut.« Die Frau nannte eine Summe.
    Sie war unglaublich hoch, ob mit oder ohne Mehrwertsteuer. Mehr als doppelt so hoch wie Dóras üblicher Stundenlohn. Darüber hinaus bot ihr die Frau ein Zusatzhonorar an, falls die Ermittlungen zur Verhaftung eines anderen Täters führen sollten. Das Zusatzhonorar war höher als Dóras Jahresgehalt. »Was erwarten Sie für diese hohe Summe? Ich bin keine Privatdetektivin.«
    »Wir suchen jemanden, der den Fall noch einmal aufrollt, das Beweismaterial begutachtet und die Schlussfolgerungen der Polizei überprüft.« Wieder machte die Frau eine Pause, bevor sie weitersprach. »Die Polizei weigert sich, mit uns zu reden. Das irritiert uns.«
    Ihr Sohn ist ermordet worden und das Verhalten der Polizei irritiert sie, dachte Dóra. »Ich überlege es mir. Haben Sie eine Nummer, unter der ich Sie erreichen kann?«
    »Ja.« Die Frau nannte die Telefonnummer. »Ich möchte Sie bitten, sich nicht allzu lange Bedenkzeit zu lassen. Ich versuche es woanders, wenn ich bis heute Nachmittag nichts von Ihnen gehört habe.«
    »Machen Sie sich keine Gedanken. Ich gebe Ihnen so bald wie möglich Bescheid.«
    »Frau Guðmundsdóttir, noch eine Sache.«
    »Ja?«
    »Wir haben eine Bedingung.«
    »Und die wäre?«
    Frau Guntlieb räusperte sich. »Wir möchten umgehend über alles informiert werden, was Sie herausfinden. Egal, ob es wichtig oder unwichtig ist.«
    »Warten wir mal ab, ob ich Ihnen überhaupt behilflich sein kann, bevor wir die Details besprechen.«
    Sie verabschiedeten sich und Dóra legte auf. Großartig, wenn der Tag damit beginnt, wie ein Dienstmädchen behandelt zu werden. Und die Kreditkarte überzogen zu haben. Und den Dispo. Das Telefon klingelte erneut. Dóra nahm ab.
    »Hier ist die Autowerkstatt. Hör mal, das sieht doch schlimmer aus, als wir dachten.«
    »Wird er überleben?«, fragte Dóra gereizt. Der Wagen hatte beschlossen, nicht mehr anzuspringen, als sie gestern Mittag ein paar Besorgungen machen wollte. Sie hatte mehrmals versucht, ihn in Gang zu bringen, aber ohne Erfolg. Schließlich musste sie aufgeben und der Wagen wurde in die Werkstatt geschleppt. Der Automechaniker hatte sie mitleidig angeschaut und ihr für die Reparaturzeit eine Dreckskarre geliehen. Ein schäbiges Gefährt, das auf der Heckscheibe die Aufschrift Bibbis Autowerkstatt trug und dessen Fußräume vor den Rücksitzen und auf der Beifahrerseite mit Müll bedeckt waren, überwiegend Verpackungen von Ersatzteilen und leere Coladosen. Dóra musste sich damit abfinden, denn sie brauchte ein Auto.
    »So gerade.« Völlig gefühllos. »Es wird nicht ganz billig.« Darauf folgte ein Redeschwall mit Begriffen aus der Welt der Autoreparatur, von der Dóra nur wenig verstand. Die am Ende genannte Summe bedurfte jedoch keiner näheren Erläuterung.
    »Besten Dank. Dann reparier ihn halt.«
    Dóra legte auf. Sie starrte gedankenvoll einige Minuten auf das Telefon. Weihnachten stand vor der Tür mit den
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