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Das letzte Riff

Das letzte Riff

Titel: Das letzte Riff
Autoren: Alexander Kent
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überschüttete ihn und Catherine mit Wut und Verachtung. Einen Skandal nannten sie die Beziehung. Keen seufzte. Er selbst hätte alles geopfert, nur um eine ebensolche Liebe zu erleben.
    Er ging zu dem kleinen Tisch im Schutz des überhängenden Poopdecks und schlug die Seite des Logbuchs auf, die ein glänzendes Stück Walknochen markierte. Sekundenlang starrte er auf das Datum, das die feuchte Seite zeigte: 25. März 1808. Genau zwei Monate zuvor hatte er seiner Braut in der kleinen Dorfkirche von Zennor den Ring über den Finger gestreift und sie zu seiner Frau gemacht.
    Doch noch immer rätselte er: Liebte sie ihn – oder hatte sie ihn nur aus Dankbarkeit geheiratet? Er hatte sie von einem Sträflingsschiff gerettet, das sie deportieren sollte für ein Verbrechen, das sie nie begangen hatte. Oder beruhten seine Zweifel auf dem großen Altersunterschied? Er war fast doppelt so alt wie sie. Sie hätte doch jeden Jüngeren heiraten können!
    Solche Gedanken bedrückten ihn. Er wagte Zenoria kaum zu berühren, und als sie sich ihm schließlich hingab, geschah es ohne Leidenschaft und ohne Sehnsucht. Sie hatte nur nachgegeben. Später in jener ersten Nacht hatte er sie unten vor der letzten Glut des Kamins gefunden, schluchzend, als wäre ihr Herz gebrochen.
    Immer wieder zwang sich Keen, an Catherines Rat zu denken, den sie ihm bei einem Besuch in London gegeben hatte. Er hatte Catherine seine Zweifel an Zenorias wahren Gefühlen für ihn gestanden. Ruhig hatte Catherine geantwortet: »Denken Sie daran, was man mit ihr gemacht hat: mißbraucht, mißhandelt, ihr jede Hoffnung auf eine Zukunft genommen.«
    Keen biß sich auf die Lippen, als er zurückdachte an ihre erste Begegnung. Fast nackt, mit bloßem Rücken, hatte sie vor den geifernden Mitgefangenen gestanden, die sich an ihr tierisch vergnügen wollten. Also war es wohl doch nur Dankbarkeit. Damit mußte er sich zufrieden geben. Sicherlich beneideten ihn viele Männer um seine schöne Frau. Aber er war nicht glücklich.
    Keen sah James Sedgemore, den Ersten Offizier, auf sich zukommen. Der war mit seinem Schicksal ganz bestimmt mehr als zufrieden. Keen hatte ihn befördert, nachdem eine Kugel an jenem fürchterlichen Morgen Cazalet, den zähen Ersten vom Tyne, zerrissen hatte. Das feindliche Schiff war die
San Mateo
gewesen, ein Spanier, der unter französischer Flagge segelte. Sie war über den Konvoi und seine Begleiter hergefallen wie ein Tiger über ein Gehege voller Kaninchen. Niemals zuvor hatte Keen Bolitho so wild entschlossen kämpfen sehen. Die
San Mateo
mußte besiegt werden, denn sie hatte Bolithos geliebte alte
Hyperion
versenkt. Das genügte als Stachel.
    Keen fragte sich, ob Bolitho wohl weiter Breitseite auf Breitseite in den schwer angeschlagenen Spanier gejagt hätte. Gott sei Dank hatte irgend jemand in der Hölle aus Eisen und jaulenden Holzsplittern noch Verstand genug gehabt, ihre Flagge niederzuholen. Ob Bolitho sonst gnadenlos weitergekämpft hätte? Er würde es nie erfahren.
    Leutnant Sedgemore tippte grüßend an seinen Hut, das Gesicht rot vor Kälte. »Wir werden morgen die Segel anschlagen können, Sir.«
    Keen sah die Marinesoldaten, die Posten an den Niedergängen und auf dem Vordeck. So nahe unter Land war mancher Matrose versucht zu desertieren. In einem Kriegshafen wie Portsmouth Leute zu bekommen, war auch ohne Deserteure schwer genug.
    Keen empfand Mitgefühl für seine Männer. Man hielt sie an Bord fest oder verfrachtete sie als Ersatz auf ein anderes Schiff, ohne sie je an Land zu ihren Lieben zu lassen.
    Auch er selbst hatte mehr Zeit als nötig an Bord verbracht. Aber er wollte seiner ausgedünnten Besatzung zeigen, daß er ihre Leiden teilte. Oder war das eine Lüge? War er an Bord geblieben aus Furcht vor Zenorias Zurückweisung?
    »Alles in Ordnung, Sir?«
    »Ja.«
    Das klang viel zu heftig. »Vizeadmiral Bolitho kommt gegen Mittag an Bord.« Er musterte die Netze an den regenglänzenden Wänden der Werft, die Hafenbatterie und die dichtgedrängten Gebäude am Portsmouth Point, hinter dem das Fahrwasser und die offene See lockten. Irgendwo da drüben wartete Bolitho sicher schon. Vielleicht im »George Inn«.
    Catherine war in diesem unfreundlichen Wetter vermutlich längst nicht mehr bei ihm.
    Sedgemores Gesicht verriet nichts von seinen Gedanken.
    Seinen Vorgänger Cazalet hatte er nie gemocht. Nun ja, er war ein guter Seemann gewesen, aber so ruppig in seiner Sprache und so ungehobelt in seinen Manieren, daß
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