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Das letzte Einhorn

Das letzte Einhorn

Titel: Das letzte Einhorn
Autoren: Peter S. Beagle
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Hexenfluches zu verhindern. Ausgesetzt, um zu verhindern, dass dies geschähe!« Mit einer schwungvollen Armbewegung wies er auf die geborstenen Häuser. »Elende, törichte Menschen! Die Einhörner sind zurückgekommen, die Einhörner, die von dem Stier zusammengetrieben wurden. Ihr habt gesehen, wie er es getan hat, doch ihr habt so getan, als wäret ihr blind. Sie haben das Schloss zerstört und eure Stadt desgleichen. Doch euch selbst haben eure Gier und eure Angst zerstört!«
    Die Leute seufzten ergeben, doch eine Frau in mittleren Jahren trat vor und sagte mit einiger Lebhaftigkeit: »Das scheint ein wenig ungerecht, halten zu Gnaden. Was hätten wir tun können, uni die Einhörner zu retten? Wir hatten Angst vor dem Roten Stier, was hätten wir denn tun können?«
    »Vielleicht hätte ein einziges Wort genügt«, erwiderte König Lir. »Jetzt werdet ihr es niemals wissen.«
    Er wollte sein Pferd herumreißen und davonreiten, doch da rief eine schwache, zittrige Stimme: »Lir, mein kleiner Lir, mein liebes Kind, mein König!« Molly und Schmendrick erkannten den Mann, der mit ausgebreiteten Armen schnaufend und keuchend herbeigeschlurft kam und sich alle Mühe gab4 älter auszusehen, als er war. Es war Drinn.
    »Wer bist du?« herrschte ihn der König an. »Was willst du von mir?«
    Drinn fummelte an Lirs Steigbügeln, rieb sich die Nase an seinen Stiefeln. »Kennst du mich denn nicht, mein Junge? Ach nein, wie solltest du auch! Wie würde ich verdienen, von dir gekannt zu werden! Ich bin dein Vater, dein armer, alter, von Freude überwältigter Vater! Der dich in jener Winternacht vor vielen Jahren auf dem Marktplatz ließ und dich so deiner großen Bestimmung zugeführt hat. Wie weise ich war, und wie endlos lange traurig, und wie stolz am heutigen Tag! Mein Junge, mein lieber kleiner Junge!« Er brachte keine richtigen Tränen hervor, aber seine Nase lief. Wortlos riss Ur an den Zügeln seines Pferdes, wollte es rückwärts aus dem Menschenauflauf führen. Der alte Drinn ließ die ausgebreiteten Arme sinken. »Das hat man davon, wenn man Kinder in die Welt setzt!« krähte er. »Du undankbarer Sohn! Lässt deinen Vater in der Stunde der Not schmählich im Stich, wo ein einziges Wort deines Schoßzauberers genügte, alles in die alte Ordnung zu bringen! Verachte mich, wenn du willst; aber ich habe dennoch meinen Teil dazu beigetragen, dich dorthin zu bringen, wo du jetzt bist. Trau dich, nicht, das zu leugnen. Auch Schurkerei hat ein Daseinsrecht!«
    Schmendrick berührte des Königs Arm und flüsterte ihm ins Ohr: »Das ist wahr. Doch für ihn und für sie alle hätte diese Geschichte einen ganz anderen Ausgang genommen – wer weiß, ob er nicht noch unbarmherziger gewesen wäre! Du musst ihr König sein, und du musst so gnädig und freundlich über sie herrschen, wie du es über ein tapfereres und treueres Volk tätest. Denn sie sind ein Teil deines Schicksals.«
    Da hob König Ur die Hand, und die Bewohner von Hagsgate stießen einander an, bis alle erwartungsvoll schwiegen. »Ich werde meinen Freunden hier das Geleit bis zur Grenze meines Reiches geben. Meine Krieger lasse ich bei euch; sie werden euch helfen, die Stadt aufzubauen. Wenn ich in kurzer Zeit zurückkehren werde, dann will auch ich mithelfen. Bevor Hagsgate wieder steht, werde ich nicht mit dem Bau meines neuen Schlosses beginnen.«
    Sie beklagten sich bitterlich, schrien, Schmendrick könne all das mit den Mitteln seiner Magie in einem Moment vollbringen, doch dieser antwortete ihnen: »Selbst wenn ich das wollte, könnte ich es nicht. Wie es Gesetze gibt, die den Jahreszeiten und dem Meer befehlen, so gibt es auch Gesetze, die der Kunst eines Zauberers gebieten. Magie hat euch einst reich gemacht, als alle anderen Bewohner diese Landes arm und elend waren. Doch die Tage eures Wohlstandes sind zu Ende, ihr müsst jetzt von vorn anfangen. Was zu Haggards Zeiten wüst und öde lag, wird wieder grün und fruchtbar werden. Hagsgate aber wird Ernten und Erträgnisse hervorbringen, die genau so kärglich sind wie die Herzen derer, die hier leben. Ihr könnt eure Felder bebauen und eure Obstgärten und Weinberge wieder aufrichten, sie werden jedoch nie wieder so üppig blühen und Frucht tragen, wie sie es einmal taten – bis ihr lernt, euch ihrer zwecklos zu erfreuen.«
    Es sah das stumme Volk an, und in seinem Blick lag kein Unmut, sondern nichts als Mitleid. »Wenn ich an eurer Stelle wäre, würde ich Kinder in die Welt setzen«, sagte er.
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