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Das leere Land

Das leere Land

Titel: Das leere Land
Autoren: Walter Kohl
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jene an der Donau, Gegenstand der nächsten Ausstellung werden. Ufernoricum, Sie verstehen, sagte der Sprecher meiner Auftraggeber, als er mich das erste Mal telefonisch in Thunder Bay erreicht hatte.
    Ich verstehe, sagte ich, ich komme aus dieser Gegend.
    Dazu kam unserem El Ha –, fuhr er fort.
    Wem?, unterbrach ich ihn.
    Unserem Herrn Landeshauptmann, dem kam die geniale Idee einer länderübergreifenden Landesausstellung. Bilateral sozusagen. Eine Zweiländer-Ausstellung, das haben die Herren Landeshauptleute im Sinn. Und Severin ist die Klammer, das verbindende Element, die durchgehende Gestaltungsidee. Der mächtige Strom, der den gesamten Kontinent durchschneidet, und die Wege des Heiligen auf jenem Abschnitt dieses Flussverlaufs, welcher auf unserem Heimatboden liegt, das sollen die Nährquellen der Ausstellung sein, ihre Hauptschlagadern gleichsam, der Leben spendende Strom, der unermüdlich fließt seit Anbeginn der Geschichtsschreibung, und so weiter, Sie verstehen doch, oder?
    Und was soll ich dabei –?
    Einen Aufsatz schreiben für den Katalog. Was heißt einen Aufsatz. Den Aufsatz. Folgen Sie den Wegen des Heiligen, beschreiben Sie seine Werke und Wundertaten, und schaffen Sie Bezüge zur Gegenwart. Im Idealfall sollte der Severin-Aufsatz im Katalog die ultimative Arbeit sein zum Thema Römerzeit und Donauraum, und er sollte gleichzeitig so – nun, sagen wir, so kulinarisch gehalten sein, dass jeden Leser die Lust überkommt, selbst den Spuren des Heiligen zu folgen und unsere wunderschönen Länder zu besuchen.
    Ein Werbetext also.
    Nein nein. Seine Stimme klang empört.
    Ich habe keine Ahnung in Sachen Severinus, sagte ich.
    Lesen Sie Eugipp, sagte er. Die Vita des Heiligen. Ich werde Ihnen ein Reclamheftchen schicken. Und lesen Sie Giese. Und Dörfler. Damit Sie vorbereitet sind, wenn Sie wieder europäischen Boden betreten. Und natürlich Lotter. Wobei Lotter – nun ja – ein Problem ist. Verschweigen Sie ihn nicht. Aber bringen Sie ihn am besten als eines von mehreren Interpretationsangeboten. Als Möglichkeit, im Musil’schen Sinne, sagte er nach einer Pause und kicherte stolz wie ein Schulkind, das etwas ganz Schwieriges gewusst hat.
    Und Sie sind der Kulturbeamte, der die Sache betreut?, fragte ich ihn.
    Das trifft es nicht wirklich, sagte er. Und hob an zu einer detaillierten Erklärung, wie die beiden Landesregierungen einen Koordinationsrat für die länderübergreifende Landesausstellung ins Leben gerufen und in praktisch allen Positionen paritätisch besetzt hätten.
    Das heißt –?
    Keines der beiden Länder soll den Eindruck haben, dass seine – nun ja, seine Themen, die es in die Ausstellung eingebracht sehen möchte, nicht ausreichend berücksichtigt würden. Daher hat man bei der personellen Ausstattung des Koordinationsrats darauf geachtet, möglichst gleichmäßig Personal aus den Verwaltungen beider Bundesländer zu rekrutieren. Im Falle der Agenda Öffentlichkeitsarbeit hat sich dies, wie soll ich sagen, jedoch nur bedingt bewährt, sodass man schließlich neben den zuständigen Herren aus Ober- und Niederösterreich im Interesse einer effektiven und reaktionsschnellen Präsenz des Themas in der Öffentlichkeit eine operative Kraft von außen geholt hat. Und das bin ich.
    Sie sind also jener von den PR -Leuten der Landesausstellung, der die Arbeit macht?
    So könnte man sagen, wenn man zu flapsigen Formulierungen neigt, sagte er leise.
    Ich sagte zu. Meine Arbeit über Johann Georg Kohl war getan. Das Honorarangebot, das Linz und St. Pölten mir machten, war verlockend.

5
    Nichts hat sich verändert. Ich sah die Nachrichtensendung um neun Uhr vormittags in dem kleinen Pensionszimmer. Das Foto von ihr, das sie dem Beitrag voranstellten, war dasselbe, das die beiden Zeitungen gebracht hatten, die im Frühstückszimmer auflagen. Sie könnte es gewesen sein. Es war zu dunkel gewesen in der Nacht, um es genau sagen zu können. Auf dem Foto sah sie noch jünger aus, zurechtfrisiert auf braves Schulmädchen.
    Der Innenminister sprach ein paar Sätze, schräg hinter ihm stand eine Frau in einem Designer-Trachtenkleid, die übertrieben gestikulierend mit jemandem redete, der nicht im Bild war. Er habe das Gesetz zu exekutieren, waren seine Worte. Das Land dürfe sich nicht erpressen lassen von einer Fünfzehnjährigen, sagte er mit einem säuerlichen Lächeln.
    Genau wegen solcher hinterfotzig aus den TV -Nachrichten und den Zeitungsseiten grinsender Gesichter war ich weggegangen.
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