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Das leere Land

Das leere Land

Titel: Das leere Land
Autoren: Walter Kohl
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gewesen sein. Nur ein Narr tauscht die Gestade des Mittelmeers gegen die feuchten, kalten, morastigen Wälder. Nur ein Narr tauscht die Düfte Afrikas, das Licht, das ungeheure, gleichzeitig milchige und unwirklich klare Licht der mediterranen Küsten gegen die Nebelmonate in den stickigen verrauchten Hütten. Gibt die Großartigkeit der Wüste, die alle Sinne zu einer leichten klaren Selbstverständlichkeit umformt, hin für die von Hass und Hunger und Mord erfüllten Undurchdringlichkeiten des Missgunst ausdunstenden Nordlands.
    Und erst der Strom. Ysura, was schnelles Wasser hieß bei den ersten Namensgebern, den Persern, Hister, Istros, Duna, Wasser, Geschlecht weiblich, die Duna, wie jene sie nannten, die vor allen anderen hier gelebt hatten, Danubius, Geschlecht männlich, wie die männlichkeitsbesessenen Römer sie mit kühler Selbstverständlichkeit umbenannt hatten. Nur ein Narr sucht freiwillig die Nähe dieses kalten grauen, dann wieder schlammig grünen und braunen Wassers, das alle Wärme aus menschlichem Fleisch saugt und die jüngsten und stärksten Knochen hartnäckig zermürbt und zerbrechlich macht und lange vor der Zeit altern lässt.
    Ich speichere diesen Beginn ab in meinem Laptop, aber verwerfe ihn bereits, während ich ihn aus Sicherheitsgründen auf einen USB -Stick kopiere. So wird das nichts. Ein dritter Anlauf:
    Eugipp hält uns alle für Idioten. Niemand nimmt ihm so eine Geschichte ab, wie er sie uns da auftischt. Das Lazaruswunder zu Quintanis. Der gekränkte Gestorbene. Es ist das schönste Wunder des Severinus. Ich liebe diese Geschichte. Weil sie so offenkundig gelogen ist. Nicht einmal der wohlwollendste Gläubige kann sie glauben.
    Ich gehe davon aus, dass es Herbst war, als der Heilige Mann in Quintanis weilte, ein sonniger, aber nicht warmer Spätseptembertag wie der heutige, in der Luft eine Ahnung von Nebel, der dichter wird, je näher man der Donau kommt. Severinus ist in Iuvao gewesen, was Salzburg ist, und hat Kerzen entzündet allein mit der Kraft seines Willens, und hat eine Tote zum Leben erweckt, so nachhaltig, dass sie drei Tage später wieder auf dem Feld ihres Mannes, eines freien Kleinbauern, bei der Erntearbeit half. Dann ist er über Batavis, was Passau ist, in das westlichste Städtchen seines Wirkungskreises gezogen, barfuß, wie immer.
    Im zwischen zwei Wassern liegenden Künzing, das ständig überflutet wird von den Hochwassern des verschwundenen Flüsschens, tut er ein seltsames Wunder und ein zum Schreien komisches Wunder. Das seltsame Wunder ist, dass er in einen der Pfähle, auf die die Künzinger wegen der Hochwasser ihr Kirchlein gestellt haben, mit dem Beil zwei Kerben hackt, auf eine Art, dass sie das Zeichen des Sohnes Gottes zeigen, das Kreuz. Dann befiehlt er der Businca, nie wieder über dieses Kreuzeszeichen hinaus anzuschwellen. Und siehe da, der Fluss gehorcht, von da an gibt es keine Überflutung mehr in Quintanis, die höher reicht als an jene heilige Markierung. Sagt Eugipp.
    Dann stirbt der Pfarrer von Künzing. Ein gewisser Silvinus, seines Zeichens Presbyter des Kastells Quintanis. Man bahrt ihn auf in der Gemeindekirche, der gesamte Klerus wacht die Nacht durch an seinem Leichnam, mit allmählich immer langsamer und zerfahrener werdendem Psalmengesang. Am Morgen schickt Severinus alle weg, sie sollen ein wenig schlafen vor dem Begräbnis.
    Die Kirche sei leer, meldet der Türhüter. Der Heilige Mann hat das Gefühl, dass sich noch jemand im Gotteshaus befinde, eine weibliche Person, der Türhüter durchsucht alles, zweimal, findet niemanden. Severinus bittet den Herrn um eine Offenbarung, die ihm gewährt wird. Auch der Herr lässt es ihn wissen: Jemand versteckt sich hier. Der Hüter sucht noch einmal und findet tatsächlich eine Frau.
    Eine von seltsamem Status: Virgo consecrata. Eine geweihte Jungfrau. Man weiß nicht recht, was dies besagen will, wahrscheinlich waren weibliche Menschen gemeint, die sich aus religiöser Überzeugung aller geschlechtlichen Praxis enthielten, jedoch keinem Orden angehörten. Severinus und der Türhüter schelten die Frau, sie verteidigt sich: Höchste Frömmigkeit verleite sie zu diesem Tun. Als sie gesehen habe, dass der Heilige Mann alle weggeschickt habe, sei sie in der Erwartung gewesen, er werde nun wohl den Toten zum Leben erwecken.
    Mit gütiger Geste gebietet ihr Severinus, sich zu entfernen. Die geweihte Jungfrau hat ihn auf eine Idee gebracht. Er lässt ein paar Kleriker kommen, wahrscheinlich
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