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Das lebendige Theorem (German Edition)

Das lebendige Theorem (German Edition)

Titel: Das lebendige Theorem (German Edition)
Autoren: Cédric Villani
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and convergence to equilibrium for the Boltzmann equation (Cédric Villani wird eine Fields-Medaille für seine Beweise der nichtlinearen Landau-Dämpfung und der Konvergenz zum Gleichgewicht bei der Boltzmann-Gleichung verliehen).
    Ich steige die Stufen hoch, wobei ich mich zwinge, weder zu langsam noch zu schnell zu gehen, und nähere mich Indiens Präsidentin in der Mitte der Bühne. Die Präsidentin ist zwar klein, aber es strömt eine Kraft von ihr aus, die in der Haltung der sie Umgebenden spürbar ist. Ich bleibe vor ihr stehen; sie verneigt sich leicht, und ich verneige mich als Antwort darauf viel zu sehr. Namaste.
    Sie überreicht mir die Medaille, und ich präsentiere sie der Menge, wobei ich den Oberkörper seltsam gebeugt halte, um weder der Menge noch dem indischen Staatsoberhaupt im Profil zugewendet zu sein, sondern beiden eher in einem Winkel von 45 Grad.
    Etwa dreitausend Leute klatschen mir Beifall in dem riesigen Tagungssaal, der an das Luxushotel angrenzt, das den Internationalen Mathematikerkongress, Jahrgang 2010, beherbergt. Wie viele waren es vor achtzehn Jahren, die mir nach meiner Eröffnungsrede beim Ball der Zweihundertjahrfeier an der École Normale Supérieure Beifall klatschten? Vielleicht tausend? Those were the days … Mein Vater war so traurig darüber, dass er von dieser Feier keine Fotos machen konnte, weil bei der Organisation etwas schiefgelaufen war. Das war ein Drama, aber wie lächerlich das jetzt erscheint im Vergleich mit der Armee von Fotografen und Filmemachern, die Bilder von der Bühne schießen! Es ist wie beim Festival von Cannes …
    Ich nehme die Medaille entgegen, noch eine Verbeugung vor der Präsidentin, drei Schritte zurück, ich drehe mich und wende mich der Wand zu, fast genauso wie wir es gestern Abend mit den Veranstaltern der Tagung lange einstudiert haben.
    Nicht schlecht. Ich habe mich besser gehalten als Elon Lindenstrauss, der als Erster ausgezeichnet wurde und der wie benommen alle Anweisungen des Protokolls über den Haufen geworfen hat. Als er vorbeiging, flüsterte mir Stas Smirnow, ein anderer Preisträger, ins Ohr: »Wir können es nicht schlechter machen.«
    Nach dem von den Kameras zur Unsterblichkeit erhobenen Augenblick weiß ich nicht mehr, was geschehen ist. Dann kam der Moment, wo man die Preise der digitalen Wolke präsentieren musste – Fotoapparate, Videoapparate, Aufnahmegeräte –, dann eine Pressekonferenz …
    Im Festsaal waren weder Laptops noch Handys zugelassen. Gleich wird es in meiner Mailbox 300 Glückwunschmails geben, und viele andere werden folgen. Mails von Kollegen, von Freunden, von entfernten Bekannten, von Geistern der Vergangenheit, die ich seit zehn, zwanzig oder dreißig Jahren nicht mehr gesehen habe, völlig Unbekannte, ehemalige Schulkameraden aus der Grundschule … Manche sind sehr rührend. Aus einer dieser Glückwunschbotschaften erfahre ich vom Tod eines Jugendfreundes, der schon vor mehreren Jahren gestorben ist. Man weiß wohl, dass das Leben voller Freud und Leid ist, die unentwirrbar miteinander verwoben sind.
    Und über die Presse eine offizielle Glückwunschbotschaft des französischen Präsidenten. Wie erwartet hat auch Ngô die Medaille ergattert; ich werde eine gewisse Zeit brauchen, um mir dessen völlig bewusst zu werden, wie sehr dieser französische Doppelsieg eine Quelle des Nationalstolzes ist. Ganz abgesehen davon, dass Yves Meyer den renommierten Gauss-Preis für sein Lebenswerk empfangen hat! Die Franzosen werden jetzt wiederentdecken, dass Frankreich schon seit vier Jahrhunderten an der Spitze der internationalen Forschung in der Mathematik steht. Ab diesem 19. August 2010 hat ihr Land von jetzt an einen Anteil von nicht weniger als 11 Fields-Medaillen von insgesamt 53, die bis zu diesem Tag verliehen wurden!
    Natürlich ist auch Clément da und strahlt. Wenn man bedenkt, dass er vor zehn Jahren zum ersten Mal in mein Büro der Lyoner ENS auf der Suche nach einem Thema für seine Dissertation kam … Glück für ihn, Glück für mich.
    Ich verlasse die Menge, um mein Hotelzimmer aufzusuchen. Ein fades Zimmer, in dem nichts an Indien erinnert; ich könnte genauso gut auf Feuerland sein! Aber ich bin hier, um meine Pflicht zu erfüllen.
    Vier Stunden ohne Unterbrechung beantworte ich Telefonanrufe von Journalisten, wobei ich zwischen dem Festnetztelefon und dem Handy jongliere. Kaum ist ein Gespräch beendet, überprüfe ich meinen Anrufbeantworter und finde neue Nachrichten, es nimmt kein
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