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Das Leben macht Geschenke, die es als Problem verpackt

Das Leben macht Geschenke, die es als Problem verpackt

Titel: Das Leben macht Geschenke, die es als Problem verpackt
Autoren: Gräfe und Unzer
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Vielleicht kommt das daher, dass ich aus sogenannten »kleinen« Verhältnissen stamme. Meine Mutter ging putzen, damit sie mir helfen konnte, mein Jurastudium zu finanzieren. Während des Studiums heiratete ich eine Kommilitonin, und wir bekamen einen Sohn. Nach Abschluss des Studiums hatte ich gleich eine sehr gut dotierte Stelle bei einer Unternehmensberatung. Es ging mir erstmals richtig gut. Ich kaufte uns eine kleine Wohnung. Dann kam ein besseres Stellenangebot, und ich zog in eine andere Stadt. Meine Frau blieb mit unserem Kind in unserer Wohnung, da sie ihr vertrautes Umfeld nicht verlassen wollte. Also führten wir eine Wochenendehe, aus der irgendwann eine Ein-Wochenende-im-Monat-Ehe wurde. Denn ich musste sehr viel arbeiten und war oft auch am Wochenende im Büro oder mit Kunden bei Geschäftsessen. Eines Abends lernte ich A. kennen. Sie war wunderschön, und wir verliebten uns sofort. Ich verließ meine Familie und heiratete sie. A. kam aus sehr gutem Haus und war einen gehobenen Lebensstil gewohnt. Ich versuchte, ihr diesen zu ermöglichen, und noch darüber hinaus. Wir kauften ein altes Pfarrhaus aus dem 16. Jahrhundert mit fünf Hektar Grund, renovierten es und richteten es mit alten Stilmöbeln ein. Unsere erste Tochter wurde geboren. Wir waren glücklich. Ich arbeitete weiterhin hart, nahm mir aber immer Zeit für meine geliebte Frau und die Kleine. Als wir berufsbedingt wieder umziehen mussten, suchte ich uns ein wunderschönes großes Haus im Grünen, direkt an einem See gelegen. Da A. nicht zur Miete wohnen wollte, kaufte ich dieses Haus und nahm einen entsprechend hohen Kredit bei der Bank auf. Unser zweites Kind wurde geboren. Wir brauchten ein größeres Familienauto. Ich arbeitete wie ein Besessener. A. wünschte sich ein Ferienhaus in Italien, das sie ebenfalls restaurieren wollte; zugleich überlegte sie, ob sie eine Boutique eröffnen solle, da sie sich nicht ausgefüllt fühlte. In dieser Zeit, vielleicht auch schon vorher, fing es mit den Schlafstörungen an. Ich hatte es mir zur Regel gemacht, möglichst bis 21 Uhr zu Hause zu sein. Dann ging ich mit A. essen oder kochte uns etwas. Wenn sie dann gegen 23 Uhr zu Bett ging, setzte ich mich noch zwei bis drei Stunden an den Schreibtisch.
    Dann schlief ich meist zwei Stunden, um völlig gerädert aufzuwachen. Wenn es mir gelang, noch mal einzuschlafen, riss mich der Wecker um 6 Uhr wieder aus dem Schlaf. Ich ging jeden Morgen mit bleiernen Gliedern zu meinem Auto, holte mir an einer Tankstelle zwei Dosen Bier, putzte mir im Büro die Zähne und ging einigermaßen aufgeräumt in die erste Besprechung. Mittags gab es dann das nächste Bier und so weiter. Abends war ich entsprechend bedient und schlief oft schon beim Essen ein. Unsere Beziehung litt, meine Gesundheit auch: Mittlerweile hatte ich ein chronisches Reizdarmsyndrom entwickelt, das ich »selbst« mit irgendwelchen Medikamenten behandelte, da ich keine Zeit hatte, einen Arzt aufzusuchen. Die Anforderungen im Job wurden anspruchsvoller: Ich wurde in den Vorstand befördert. Das hieß noch mehr Reisen, noch mehr Abwesenheit von zu Hause. Eines Tages kam ich heim und fand nur einen Zettel von A. vor: Sie sei mit den Kindern zu ihren Eltern gezogen.
    Nach einem Jahr ließen wir uns scheiden. Ich verkaufte unsere Häuser, die alle hoch verschuldet waren, und blieb auf den Vorfälligkeitszinsen sitzen.
    Den Kontakt zu meinen Töchtern verbot mir A. Ich habe seither keines meiner Kinder wiedergesehen. Als ich vor meiner Stadtwohnung mit einem Herzinfarkt zusammenbrach, fanden mich Nachbarn. Im Krankenhaus kam ich langsam wieder zu mir. In der Reha hatte ich einen Psychotherapeuten, der mir half, wieder auf meine »Herzensqualitäten« zu achten. Ich entschied mich für ein Sabbatical, das mir die Firma gewährte. Nach einem halben Jahr bat ich um die Vertragsauflösung. Ich arbeite nun in einer kleinen Anwaltskanzlei und wohne in einer ganz guten Mietwohnung mit Blick auf einen Park. Mit meinem Sohn aus erster Ehe habe ich wieder Kontakt aufgenommen, und wir sehen uns gelegentlich. Ich hoffe, auch mit A. und den Kleinen wieder in Kontakt zu kommen. Aber das braucht wahrscheinlich noch etwas Zeit. Mir geht es heute besser: In der Reha habe ich mich auch mit Entspannungs- und Meditationstechniken befasst. Am meisten Spaß macht mir jedoch das regelmäßige Laufen im Grünen. Dabei kann ich völlig abschalten und bin auch wieder bei mir.
WER PROBLEME HAT, HAT MEHR VOM LEBEN
    Ich selbst
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