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Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise

Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise

Titel: Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise
Autoren: Auma Obama
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von Barack Obama, von den Medien gern auch als »Halbschwester« bezeichnet, was ich bis heute sehr befremdlich finde, da wir in unserer polygamen Luo-Kultur nie von »halben« oder »ganzen« Geschwistern sprechen, sondern nur von Brüdern und Schwestern – ganz anders als in der westlichen, »pseudo-monogamen« Kultur, wo immer noch in Ganz- und Halbgeschwister eingeteilt wird. Vordergründig, um den Überblick zu behalten, womit aber eigentlich eine Rangordnung geschaffen wird, die in der Luo-Kultur nicht existiert.

    In dem Jahr, das auf Baracks Entschluss zur Kandidatur folgte, bis zum Tag der Präsidentschaftswahl, beschränkte ich meinen Austausch mit den Medien darauf, ein etwas genaueres Bild davon zu vermitteln, was er für seine Familie in Kenia bedeutete, dass er zum Beispiel trotz der Entfernung und seines erst späten Besuchs in Afrika stets als Sohn der Familie galt. Folglich wollte man den kenianischen Teil seiner Herkunft näher kennenlernen, auch um ihn besser zu verstehen. Also boten meine Großmutter und ich sowie einige andere engere Familienangehörige uns der Presse für die Verbreitung von Baracks »kenianischer Geschichte« an.
    Nach den Wahlen wurde ich dann geradezu mit Interviewanfragen bestürmt, die ich größtenteils ablehnte. Die kenianische Geschichte war nun »in der Welt«, sie war bekannt, und ich hatte nicht das Gefühl, dem noch irgendetwas Wesentliches hinzufügen zu müssen.
     
     
     
     
     

30
     
    »Wie finden Sie Iowa?«, fragte mich die junge Journalistin, die sichtlich nervös war.
    Ohne lange nachzudenken, antwortete ich: »Sehr weiß!« Ich merkte, wie Iris, die mir bei einem Presseinterview zur Seite stand, zusammenzuckte. Die Journalistin machte sich eifrig Notizen. Ich war in Iowa, um bei der Vorwahlkampagne meines Bruders mitzuarbeiten.
    »So meint sie das nicht«, sagte Iris rasch. »Sondern eher …« Sie rang nach Worten, um meine Antwort umzuformulieren. Eine Sekunde lang war ich verwirrt, dann verstand ich.
    »Oh, ich meinte das Wetter! Der viele Schnee überall …« Ich lächelte in die Runde. »Es sieht sehr hübsch aus. Aber es ist doch ziemlich viel Schnee, oder?«
    Iris atmete erleichtert auf. Mir war nach Lachen zumute. Sie hatten doch nicht etwa gedacht, ich hätte die Menschen gemeint? Zwar hatte ich nicht viele Schwarze in Iowa gesehen, aber es wäre mir nie der Gedanke gekommen, einer Journalistin gegenüber das Verhältnis von Schwarzen und Weißen anzusprechen. Am liebsten hätte ich einen Scherz angefügt, aber die nachdenkliche Miene der jungen Frau und Iris’ nervöse Blicke verschlossen mir den Mund. Die Sache war zu ernst; eine Schlagzeile wie »Obamas Schwester findet Iowa sehr weiß!« hätten die Gegner meines Bruders, selbst wenn die Äußerung im tiefsten Winter gefallen war, womöglich sofort ausgeschlachtet.
     
    Als Barack sich zur Präsidentschaftskandidatur entschloss, herrschte in der politischen Landschaft der USA Aufbruchsstimmung. Die Busch-Administration hatte die Amerikaner in zwei Kriege verwickelt und das Land wirtschaftlich und außenpolitisch in einige Schwierigkeiten gebracht. Sie wollten Veränderung, frischen Wind und neue Zuversicht. Sie wollten jemanden, der noch nicht von der etablierten politischen Szene Washingtons vereinnahmt war. Und mein Bruder schien dieser Jemand zu sein. Ich hatte ihn schon immer dafür bewundert, dass er sich so unermüdlich für die Benachteiligten engagierte. Schon bei unserer ersten Begegnung in Chicago war mir das klar geworden, in unseren Gesprächen und angesichts der gemeinnützigen Arbeit in den Armenvierteln von Chicago, in die er mir Einblick gewährt hatte. Aus allem, was er sagte und tat, sprach der Wunsch, das Leben seiner Mitmenschen gerechter zu gestalten. Er ließ sich nicht abbringen von seiner Vision einer besseren Welt für alle. Wenn er auf ein Hindernis stieß oder vor einer verschlossenen Tür stand, versuchte er einen anderen Weg zu finden, um trotzdem die Hürde zu überwinden oder durch die Tür zu gelangen. Er studierte nicht in Harvard, um später viel Geld zu verdienen, sondern um die erforderlichen Voraussetzungen dafür zu erlangen, sich erfolgreich für die Benachteiligten einzusetzen. Dieser Logik folgend, musste mein Bruder schließlich die Herausforderung annehmen, das Unwahrscheinliche zu tun und durch die Tür zu gehen, die zur Präsidentschaft führte.
    Bislang kannte ich mich mit den politischen Strukturen der USA nicht besonders gut aus, das war
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