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Das Leben in 38 Tagen

Das Leben in 38 Tagen

Titel: Das Leben in 38 Tagen
Autoren: Cornelia Scheidecker
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Wangen
hinunter, und das in einer Kirche, in die sie absolut nicht hineinwollte. Ich
war gerührt! Sonja empfand wohl mehr, als sie zugab. Ich war froh, sie
überredet zu haben. Diese Momente in der Kathedrale, am Ziel unseres Weges, am
Kilometer Null, werden uns für immer unvergesslich bleiben, dessen war ich mir
sicher. Auch wenn der berühmte riesige Weihrauchkessel für uns leider nicht
geschwenkt wurde...
    Nach
der Messe drängten die Menschen nach draußen. Ich verabschiedete mich herzlich
von Sonja, die heute unbedingt noch ans Meer wollte. Bildete ich es mir nur
ein, oder war sie tatsächlich etwas kleinlauter geworden? Nun tat es mir sogar
ein wenig leid, mich von ihr zu trennen, aber schon stürmten neue, freudige
Gesichter auf mich zu. Ich sah Elisabeth und Maria, die auf Gerold warteten,
als sich plötzlich ein paar Hände über meine Augen legten. Wer konnte das sein?
Insgeheim hoffte ich auf Carol, Charlotte oder Madlen ,
die alle wussten, dass ich am 18. Mai hier ankommen würde. — Nein, es war
Heidemarie. Die winzige Enttäuschung schlug in riesige Freude um.
Wahrscheinlich kam jetzt die ganze Aufregung der letzten Tage noch einmal
zusammen, denn nun fing ich richtig zu weinen an! Ich hatte Mühe, mich zu
beruhigen, und wir beide umarmten uns, als hätten wir uns Jahre nicht gesehen...
Heidemarie war gestern hier gelandet und hatte auch schon die Kirche besucht.
Sie war heute extra wegen mir noch einmal zur Pilgermesse gekommen. Gleich war
sie wieder mütterlich besorgt und bot mir an, mit ihr zusammen im Hostal zu
übernachten. Inmitten hunderter Menschen in Hochstimmung und Winken nach allen
Seiten verabschiedete ich mich von Elisabeth, Maria, Gerold, Helga und Alfred
wie von guten Freunden. Die drei Österreicher Heiner, Heinz und Heino hatten
mir Grüße ausrichten lassen, ebenso Achim, der auch gestern angekommen war und
sich nun schon weiter auf dem Weg zum Cap Finisterre befand. Die kleine,
stoppelhaarige Jacqueline aus Frankreich kam über den ganzen Platz gerannt, als
sie mich sah. Sie hatte heute Geburtstag und war schon von ihrer Familie in
Santiago erwartet worden. Auch sie war überglücklich, hier angekommen zu sein,
genau wie wir alle... Ankommen ist ein wunderbares Gefühl! Ich hatte mein Ziel
erreicht und eigentlich war damit mein Weg beendet. Im Gegensatz zu manch
anderem Pilger spürte ich nicht das Bedürfnis, noch weiter zu laufen. Ich war
froh, dass meine Füße so lange durchgehalten hatten, und wollte mich nicht noch
weiter quälen. Den letzten Tag in Santiago verbrachte ich mit Heidemarie, die
mich kurzerhand in ihrem winzigen Zimmer mit einem einzigen Bett in dem kleinen
Hostal mit einquartiert hatte und mir anschließend die Stadt und noch einmal
die Kathedrale zeigte. Heidemarie liebte es, zu erklären, und so konnte ich mir
bei nunmehr fast leerer Kirche in Ruhe einmal alles ansehen. Auch die
vergoldete Statue des heiligen Jakobus hinter dem
Altar umarmten wir nun, weil dies der Brauch war, aber es weckte in mir
keinerlei Gefühle. Es war für mich ein toter Stein, zu dem das Gold nicht
passte. Überhaupt schien mir die Kirche zu prunkvoll. Die Menschen hatten mich
berührt während der Messe, die feierliche Andacht, die Musik, die Kerzen, aber
nun fehlte etwas. Sicher waren die Skulpturen und Bilder sehenswert, aber jetzt
zog es mich wieder nach draußen, in das pulsierende Leben. Dahin war ich ja
schließlich auch zurückgekehrt. Nun freute ich mich auf zu Hause und das war
ein wichtiges Gefühl für mich.
    Am
Abend trafen wir doch tatsächlich noch Hermann und Christa aus Kempten, die
schon den ganzen Tag nach mir Ausschau gehalten hatten. Zu viert kehrten wir
bei einem sehr gut Deutsch sprechenden freundlichen Spanier ein, wo wir unser
endgültig letztes Pilgermenü genossen. Der Wirt erzählte uns, dass er fünfzehn
Jahre in der Schweiz gearbeitet und sich nun mit seiner Familie dieses kleine Restaurant
gekauft hatte. Wir tranken Rotwein, lachten, erzählten und fühlten uns „stolz
wie Oskar“. Der Abend bildete einen wunderschönen Abschluss meiner Reise, aber
als ich nachts neben Heidemarie in meinem Schlafsack lag, konnte ich vor
Aufregung und Lärm kaum schlafen. Unser Hostal lag direkt neben der Uni und die
Studenten feierten den Tag der galicischen Sprache, das hieß, sie machten die
Nacht zum Tag. Als es dann endlich ruhiger wurde, kamen die Reinigungsautos,
leerten den Müll und sprengten die Straßen und Gehwege...
    Um
7.00 Uhr ließ es sich Heidemarie
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