Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Leben Findet Heute Statt

Das Leben Findet Heute Statt

Titel: Das Leben Findet Heute Statt
Autoren: Bruder Paulus Terwitte
Vom Netzwerk:
und erleidet die Situation mit dem Kranken. Es ist leicht vorstellbar, wie die Gegenwart der Familie und der Freunde dem Kranken manches an Druck und Sorgen abnimmt. Geteiltes Leid ist halbes Leid.
    Wir sind bei so viel geschenkter Nähe eher skeptisch. Wenn da jetzt auch noch die Angehörigen kommen, stört das nur den geregelten Ablauf. Sie stehen im Weg. Es werden hygienische Gründe ins Feld geführt. Die ganze Wirtschaft würde lahmen, wenn alle ein Recht bekämen, unter Beibehaltung eines gewissen Prozentsatzes der Bezüge, ihre Kranken wochenlang zu unterstützen.
    Solche und andere Fragen drängen sich in den Vordergrund, weil wir den ursprünglichen Bezug zum ganzen Menschen verloren haben. Wir denken von unserem Körper wie von einer Maschine: Die irrationale Angst, man könnte am Ende seinesLebens an Maschinen angeschlossen werden, die einen nicht sterben lassen, ist die notwendige Folge davon. Ärzte erscheinen nicht mehr als Menschen aus Fleisch und Blut. Sie werden als lebendige Computer angesehen, die nur immer richtig funktionieren müssten, und die Krankheit wäre besiegt. Das Bild vom Landarzt, der mit allen im Haus nach einem guten Weg sucht, die Krankheit zu lindern, erscheint irgendwie vorwissenschaftlich. Nein, der Arzt soll den Körper reparieren, damit er so funktioniert wie vorher.
    Die chronische Unterbesetzung bei Ärzten und die Erfordernisse der modernen teuren Geräte, die ausgelastet sein müssen, tun ihr Übriges dazu, dass sich die Patienten eher wie beschädigte Maschinen fühlen. Und der Besitzer wird entsprechend ruppig im Ton, wenn das Herz oder der Fuß nicht bald wieder so fehlerfrei funktioniert wie ehedem. Wir gehen buchstäblich über unseren Körper hinweg. Kein Wunder, dass der so Überhörte und Vernachlässigte sich rächt.
    Durch unser Gesundheitssystem ist es mittlerweile so weit gekommen, dass sich auf allen Ebenen erhebliches Misstrauen eingeschlichen hat. Die Gründerjahre finden heute keinen Widerhall mehr. Umsichtige, kluge Ordensschwestern und -brüder hatten Ende des 19.   Jahrhunderts maßgeblich die Fundamente unseres modernen Gesundheitswesens gelegt. Sie wollten barmherzig mit den Kranken umgehen und ihnen die größtmögliche Hilfe angedeihen lassen. Am Beginn der Medizingeschichte waren noch Menschen einflussreich, die an der theologischen Fakultät vier Semester Philosophie studiert hatten. Den Pionieren war noch klar, dass man niemanden an den Menschen heranlassen darf, der nicht vorher seinen Geist geschult hat, um das Geheimnis der menschlichen Natur zu ergründen. Dienstleistung wurde verstanden als Dienst, den es anden Kranken zu leisten galt. Heute geht es eher um die Leistung, die möglichst vielen Kranken anzudienen ist.
    Der Mensch zählt nun in der Krankheit nichts mehr. Diese Klage wird von allen geführt, die mit dem Gesundheitswesen beruflich zu tun haben. Ihr Charisma und ihre Leidenschaft werden systematisch vergewaltigt von den Zwängen der Moderne, die auf alles eine Antwort zu haben scheint oder zumindest dahingehend vertröstet, dass die Antwort bald gegeben werden könnte. Die Kranken selbst haben völlig überzogene Ansprüche. Sie handeln, als seien sie Maschinen und müssten nur kurz repariert werden. Da es für alles eine Versicherung gibt, sind die Mitarbeiter im Gesundheitswesen mehr mit den immer differenzierteren Anträgen und Bezahlungssystemen beschäftigt als mit den Kranken selbst. Sie müssen den Kranken als Person völlig außen vor lassen und den Körper des Kranken und die eigene Arbeitsweise als Pflegende in die Systematik von Computerplänen einzwängen. Es zählt nur, was vom Barstrichcode vorgesehen ist. Am Ende des Tags wird dann abgerechnet. Auch was den Menschen am schwächsten macht, muss sich noch rechnen.
    Plötzlich trauen wir uns mit unserem Wehwehchen nicht mehr zum Arzt. Wir können ja nicht wissen, was er noch in seinem Maschinenpark ausgelastet haben muss. Vielleicht ist auch so einiges an Vorgaben für eine bestimmte Anzahl von Untersuchungen noch nicht erreicht. Als Patient stehe ich in der Gefahr, medizinische Dienstleistungen empfohlen zu bekommen, die zur Bilanz der Praxis oder des Krankenhauses zwar passen, nur leider zu mir nicht. Damit ist der Supergau erreicht: Das Gesundheitssystem fordert Leistungen und Einstellungen der Mitarbeitenden, die ihre Patienten erst recht krank machen. Und sie selbst noch dazu.
    Wir brauchen dringend eine Reform, die den Patienten wiederin den Mittelpunkt des
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher