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Das launische Eiland.

Das launische Eiland.

Titel: Das launische Eiland.
Autoren: Andrea Camilleri
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vorgezogen hatte, zu Hause zu bleiben; darin wurden »die Habgier und das betrügerische Treiben« der Engländer angeprangert. Es war genau wie bei der Unterredung zwischen den drei Schwerhörigen, denn am Ende bedankte sich Douglas, weil er alles für eine Willkommensrede von seiten der braven Eingeborenen gehalten hatte. Daraufhin wurden mehr oder weniger hitzige Kommentare laut. Vito Sansotta und Cosimo Peritore bekamen eine in die Fresse beziehungsweise einen gebrochenen Arm, während Jim Ackeroyd und Tom Blackwell mit einem blauen Auge und einer Messerschramme am Bauch wieder an Bord gingen. Man sieht, daß die Logik, diese »reine Form des Denkens«, in jenen Gegenden hin und wieder unreine Formen annahm. Der herausragende Studiosus des Internationalen Rechts, Salvatore Russo-Farruggia, der wie ein wildgewordener Bulle in die Auseinandersetzung über den Besitz der Insel, der schon halb Europa reizte, hineingeplatzt war, behauptete unterdes, daß »Albion immer schon das öffentliche Recht mißachtet hat«, und folglich durften auch die Bourbonen die von Jenhouse gehißte Flagge ignorieren und daraus Fußabtreter machen.
    Engländer, Franzosen, Deutsche und Bourbonen legten eine Sache in gemeinsamem Einverständnis dar, nämlich daß auf dieser Insel nicht nur keine einzige Alge wuchs, was vielleicht noch erklärbar war, sondern sich auch kein einziger Vogel niederließ. Tote Erde war sie, auf der man sich nach einer Weile ganz nervös und seltsam fühlte. Am Morgen des 13. September wurde laut Francesco Macaluso, der sich selbst zum nicht gerade unparteiischen Chronisten der ganzen Geschichte ernannt hatte, »als erstes und einziges Exemplar der Inselfauna auf der höchsten Spitze der Erhebung eine Ringeltaube gesichtet, die dort sang; als sie aus dem kleinen Teich am Fuße des Hügels trank, fiel sie augenblicklich tot um«. Doch es gab auch einen etwas schwerwiegenderen Todesfall zu verzeichnen. Eines Abends stach der Matrose Ted Woodehouse, der zuviel Rum oder Gin intus hatte, am Nordufer des Schwefelsees den Vigateser Fofò Corallo ab; Streitgrund war keineswegs eine Territorialfrage, sondern anscheinend die Frage der gerechten Aufteilung des letzten Viertels von ehemals fünf Litern besten Weins. Nachdem ihr Boden mit dem Blut eines Toten getränkt war, hatte die Insel nach fünf Monaten der Streitereien und Auseinandersetzungen genug: Am 16. Dezember 1831 versank sie mit einem Schlag und ließ den Männern auf ihrem Boden gerade noch so viel Zeit, um in ihre Boote zu steigen.
      Es vergingen fünfzehn Jahre, und die Insel schien es sich erneut zu überlegen: Eines schönen Morgens streckte sie den bekannten Hügel ein, zwei Meter übers Wasser, wie um sich umzuschauen. Als sie gesehen hatte, daß sie da nichts verloren hatte, sank sie wieder ab, hielt aber drei Meter unter der Wasseroberfläche inne und verwandelte sich in eine gefährliche Sandbank. Von den vielen Namen, die sie im Laufe ihrer kurzen und umkämpften Existenz getragen hatte, war in der Erinnerung der Sizilianer nur einer geblieben, »die Tänzerinneninsel«, wobei »Tänzerin« nicht so sehr die vulkanische Natur des Felsens zum Ausdruck bringen sollte, sondern vielmehr die charakterliche Unbeständigkeit, die der Volksmund den Frauen von der Bühne anhängte. Jahre später machte ein Schriftsteller aus jener Gegend die Insel zum Handlungsort einer seiner neuen, idealen Kolonien. Auch in der dichterischen Vorstellung des Schriftstellers endete die Insel auf dem Meeresgrund. Die ehemalige Insel wurde seither »Sandbank von Marullo« genannt, nach dem Namen eines unglückseligen Kapitäns, der genau in diesem seichten Grund sein Schiff und sein Leben verloren hatte.
    Wie Kapitän Caci ganz klar vorausgesehen hatte, krachte das russische Schiff »Iwan Tomorow«, nachdem es über eine Stunde lang Spielball der tobenden Meeresfluten gewesen war, gegen die »Sandbank von Marullo« und zerschellte.
    »Wir verneigen uns vor Don Totò!«
    Ignazio Xerri war ganz außer Atem. Der Schreck, als er
    mit ansehen mußte, wie der Dampfer mit einem Knall, der das ganze Dorf erzittern ließ, in zwei Hälften brach, saß ihm noch in den Knochen; um so größer jedoch war sein Erschrecken bei der blitzschnellen Erkenntnis, daß sich das Rad nun andersherum drehte: Wer Don Totò Unrecht getan hatte, für den ging jetzt eine echte Sauregurkenzeit los. Aus diesem Grund traf er seine eigenen Vorkehrungen, noch bevor die Sache an die Öffentlichkeit gedrungen
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