Das lange Lied eines Lebens
ließ sich schließen und zusperren. Und hinter dieser Tür kochte unsere July einige der feinsten Konfitüren und Pickles ein, die auf dieser Insel zu finden waren. Sie konkurrierten nicht mit Miss Claras, denn Miss Claras waren längst vergessen. »Miss Claras Guavengelee? Nein. Bring mir Miss Julys Sapotillenkonfitüre, vergiss nicht, einen Krug mit ihren eingelegten Peperoni zu füllen«, forderten einmütig die Weißen, die Farbigen und die Neger der Insel – denn sie alle lechzten danach.
Und mit ihrer Gewitztheit wurde unsere July so reich und alt und glücklich, dass sie ein kleines Fremdenheim erwarb. Miss Claras Gästehaus wurde fast ganz vom Markt verdrängt, als Miss July ihre Pension eröffnete. Matrosen und ihre Familien, Reisende von höchstem Rang logierten bei ihr, wenn sie die Stadt besuchten. Und diese guten Kunden kehrten so oft zurück, dass sich ihr Ruf ohne ihr Zutun in der ganzen Welt herumsprach. Ein englischer Gentleman, der in England viele
schöne Bücher schrieb, erwähnte Miss Julys saubere und komfortable Pension in einem schmalen Bändchen. Dieser Gentleman (dessen Name mir entfallen ist) drängte seine Leser dazu, sollten sie sich je in der Nähe aufhalten, unbedingt Miss Julys Etablissement aufzusuchen.
Darum, geneigter Leser, brauchst du kein Mitleid mit der Notlage unserer July zu haben, denn meine Geschichte war nicht dazu gedacht, sie als Geschlagene zu zeigen. Und mögen andere Bücher (mit Ledereinband und Goldprägung) darauf aus sein, dass du ihr Leben für wertlos hältst, so vertraue ich doch darauf, dass du schon zu lange und zu weit mit ihr gewandert bist, um derartige Torheiten zu beachten, wenn sie dir an den Kopf geworfen werden. Nein. Julys Geschichte hat ein glückliches Ende gefunden – das kannst du mir glauben.
Als mein Sohn seine Lektüre beendet hatte, all die schönen Worte und klugen Beschreibungen, die nun auch dir bekannt sind, starrte er mich erst entgeistert an, so als sei seine Mama soeben am Schwanz des Teufels durchs Fenster geschwebt, dann begann er zu lachen. Seine Heiterkeit habe ich nun schon so lange ertragen müssen, dass mir genug Zeit blieb, um zu bemerken, dass ihm tatsächlich das Haar ausgegangen war, denn es war so licht und grau auf seinem Kopf, dass es mir dünn wie die Staubschicht auf einer Tischplatte vorkam.
Jetzt aber, geneigter Leser, jetzt ist es an der Zeit, dir die drei undisziplinierten Mädchen und Lillians garstigen Schweinepfeffer in Erinnerung zu rufen, den sie ganz und gar verschmäht haben.Vielleicht fasst du dir dann ein Herz, um die Kränkung nachzuempfinden, die deine Erzählerin verspürte, als mein Sohn seiner alten, alten Mama sagte: »Aber das taugt nichts. Das geht nicht. Nein, nein, das musst du umschreiben.« Denn wie ich vorhin schon berichtet habe, kann nur ich meinen Sohn zum Streit reizen.
»Was stimmt denn nicht?«, fragte ich.
»Mutter, du schreibst nicht die Wahrheit«, sagte er.
»Doch, es ist wahr«, sagte ich.
»Nein, ist es nicht«, erwiderte er.
Ich will hier nicht lang und breit den Streit wiedergeben, der nunmehr entbrannte, mit »Ist es nicht« und »Ist es wohl«. Aber wisse dies: Wenn deine Erzählerin genügend Papier zur Verfügung gehabt hätte, würdest du, geneigter Leser, jetzt ein, zwei, drei, vier Seiten mit nichts als den Widerworten meines Sohnes umblättern. In England gibt es nicht einen Schriftsteller, der eine derart lästige Einmischung zu erdulden hätte – nicht einen!
»Mutter«, sagte mein Sohn schließlich, »willst du deinen Lesern wirklich erzählen, dass Miss Julys Baby von Robert und Caroline Goodwin grausam entführt und nach England geschafft wurde, dass sie danach völlig sorglos in der Stadt ein Geschäft betrieb und dort alt wurde, indem sie erst Konfitüren und Pickles herstellte, bevor sie Inhaberin eines Fremdenheims wurde?«
»Alt und glücklich, ja«, sagte ich ihm.
»Dann, Mutter«, sagte er und lächelte mich an – nicht aus Freundlichkeit, sondern listig, als würde er mir bald Vernunft beibringen –, »dann kannst du mir vielleicht sagen, wer die Frau – die halb verhungerte Frau – mit dem gestohlenen Huhn unter ihren Kleidern war.«
Ich hatte immer darum gebetet, dass mein Sohn nie wieder von ihr sprechen würde.Verwirrt von der Unverschämtheit seiner klaren Äußerung, konnte ich nichts weiter tun, als ihn wortlos anzustarren, während er mich stumm beobachtete. Und in diesem verdrießlichen Schweigen hätten wir weitere drei Seiten
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