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Das Lächeln des Cicero

Das Lächeln des Cicero

Titel: Das Lächeln des Cicero
Autoren: Steven Saylor
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als irgendwann
sonst. Sie huschen auf unzähligen Botengängen durch die
Stadt, überbringen Nachrichten, tragen Pakete, machen
Besorgungen und Einkäufe von Markt zu Markt. Sie tragen mit
sich den Geruch von Brot, frisch gebacken in Tausenden von
Steinöfen, aus denen schlanke Rauchfahnen aufsteigen wie ein
tägliches Opfer für die Götter. Sie tragen den
Geruch von Fisch, frisch gefangenem Süßwassergetier aus
den nahen Fluten des Tibers oder auch exotischeren Exemplaren, die
über Nacht aus dem Hafen von Ostia flußaufwärts
geschifft werden - schlammbedeckte Mollusken und große
Meeresfische, glitschige Kraken und Tintenfische. Sie tragen den
Geruch von Blut, der von abgetrennten Gliedmaßen oder
sorgfältig ausgelösten Organen von Rindern, Hühnern,
Schweinen und Schafen stammt, in Tuch gewickelt oder über die
Schulter geworfen, bestimmt für die Tische ihrer Herren und
deren ohnehin schon geschwollene Bäuche.
    Keine andere Stadt
kann es an schierer Lebenskraft aufnehmen mit Rom zur
Hauptgeschäftszeit am Vormittag. Rom erwacht mit einem
selbstzufriedenen Räkeln und tiefem Einatmen, das die Lungen
belebt und den Puls beschleunigt. Rom erwacht mit einem
Lächeln aus rosigen Träumen, weil Rom jeden Abend mit dem
Traum vom Imperium einschläft. Am Morgen schlägt es dann
die Augen auf, bereit, diesen Traum am hellichten Tag wahr werden
zu lassen. Andere Städte klammern sich an den Schlaf -
Alexandria und Athen an die wohligen Träume der Vergangenheit,
Pergamon und Antiochia an eine Tagesdecke von orientalischer
Pracht, die kleinen Städte Pompei und Herculaneum an den
Luxus, bis mittags liegenbleiben zu können. Rom hingegen
schüttelt glücklich den Schlaf ab und beginnt sein
Tagewerk. Rom muß sich an die Arbeit machen. Rom ist ein
Frühaufsteher. 
    Rom ist viele
Städte in einer. Wenn man die Stadt zu einer beliebigen
Tageszeit durchquert, wird man stets zumindest einige ihrer
Facetten entdecken. Für Menschen, die in einer Stadt vor allem
Gesichter sehen, ist es zuerst und vor allem eine Sklavenstadt,
weil es viel mehr Sklaven als Bürger und Freigelassene gibt.
Sklaven sind überall, so allgegenwärtig und lebenswichtig
für das Leben der Stadt wie das Wasser des Tibers oder das
Licht der Sonne. Sklaven sind Roms Lebenssaft.
    Sie sind von jeder
Rasse und Art. Einige sind ihrer Herkunft nach nicht von ihren
Herren zu unterscheiden. Sie gehen besser gekleidet und edler
gewandet durch die Straßen als viele freie Bürger. Ihnen
mag zwar die Toga fehlen, doch ihre Tuniken sind aus mindestens
ebenso kostbarem Material. Andere sehen unvorstellbar
erbärmlich aus, wie die pockennarbigen, halb schwachsinnigen
Arbeiter, die sich in unordentlicher Formation durch die
Straßen schleppen, nackt bis auf ein Stück Stoff, das
ihr Geschlecht bedeckt, mit Ketten an den Fußgelenken
aneinandergeschmiedet und schwere Gewichte tragend, bewacht von
Schlägern mit langen Peitschen und zusätzlich
gequält von den Fliegenschwärmen, die sie wie Wolken
umschwirren, wohin sie auch gehen. Sie sind unterwegs zu den Minen
oder Galeeren oder um das tiefe Fundament für das Haus eines
reichen Mannes auszuschachten, unterwegs zu einem frühen
Grab.
    Wer beim Betrachten
einer Stadt keine Menschen, sondern Stein sieht, für den ist
Rom eine überwältigende Stadt des Kultes. Rom ist schon
immer eine fromme Stadt gewesen, in der man jedem Helden und allen
Göttern, die man für den Traum vom Imperium
möglicherweise als Verbündete gewinnen konnte, stets
freigiebig (wenn auch nicht immer ehrlich) geopfert hat. Rom
verehrt die Götter und liebt seine Toten. Tempel, Altäre,
Schreine und Statuen im Überfluß. An jeder Ecke kann
einem unvermittelt der Duft von Weihrauch entgegenschlagen. Man
kann eine schmale, gewundene Straße hinuntergehen in einem
Viertel, das man seit Kindheitstagen kennt, und plötzlich ein
Wahrzeichen entdecken, das man nie zuvor bemerkt hat - eine
winzige, grobschlächtige Statue irgendeines vergessenen
etruskischen Gottes, die in einer Mauernische aufgestellt oder
hinter einem wilden Fenchelstrauch verborgen ist, ein Geheimnis,
das nur die Kinder kennen, die in diesen Gassen spielen, und die
Bewohner des Hauses, in denen dieser vergessene und machtlose Gott
als Hausgottheit verehrt wird. Man kann sich unvermittelt vor einem
kompletten Tempel wiederfinden, unvorstellbar alt, so alt,
daß er nicht aus Ziegel oder Marmor, sondern aus
wurmzerfressenem Holz gebaut ist, der düstere Innenraum
längst jeden Hinweises
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