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Das Lächeln des Cicero

Das Lächeln des Cicero

Titel: Das Lächeln des Cicero
Autoren: Steven Saylor
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Straße
vom Esquilin in eine breite Kreuzung. In Rom gilt die Regel: Je
breiter eine Straße oder ein Platz, desto voller und
unpassierbarer. Tiro und ich mußten hintereinander gehen und
uns einen Weg durch das Gedrängel von Wagen und Tieren und
improvisierten Marktständen bahnen. Ich beschleunigte meinen
Schritt und mahnte ihn über die Schulter, dicht hinter mir zu
bleiben. Bald hatten wir die Gladiatoren eingeholt. Wie nicht
anders zu erwarten, teilte sich die Menge vor ihnen wie Nebelfetzen
in einer heftigen Böe. Tiro und ich folgten in ihrem
Windschatten.
    »Platz
da!« rief auf einmal eine laute Stimme. »Macht Platz
für die Toten!« Eine Schar Einbalsamierer in
weißen Roben drängte sich, von rechts den Esquilin
herabkommend, neben uns. Sie schoben eine schmale, längliche
Karre, in der ein in Gaze eingewickelter Leichnam lag und in einem
Kokon aus Wohlgerüchen zu schweben schien - Rosenöl,
Nelkensalbe und unbekannte orientalische Gewürze. Wie immer
hing der Gestank von Rauch an der Kleidung der Einbalsamierer und
vermischte sich mit dem Geruch verbrennenden Fleischs, das von dem
riesigen Krematorium auf dem Hügel hinabwehte.
    »Platz
da!« rief ihr Anführer und fuchtelte mit einer schmalen
Rute herum, wie man sie etwa zur milden Bestrafung eines Sklaven
oder Hundes verwenden würde. Er hieb lediglich in die Luft,
aber die Gladiatoren nahmen Anstoß daran. Einer von ihnen
riß dem Einbalsamierer die Rute aus der Hand. Sie segelte
rotierend durch die Luft und hätte mich getroffen, wenn ich
mich nicht geduckt hätte. Ich hörte einen
überraschten Schmerzensschrei hinter mir, drehte mich jedoch
nicht um. Ich blieb in der Hocke und faßte nach Tiros
Ärmel.
    Das Gedränge in
der Masse war zu dicht, um zu entkommen. Anstatt sich still
abzuwenden, wie es die Umstände nahelegten, drängten
plötzlich von allen Seiten Fremde hinzu, die die in der Luft
liegende Schlägerei witterten und Angst hatten, sie zu
verpassen. Sie wurden nicht enttäuscht.
    Der Einbalsamierer war
ein kleiner Mann mit Kugelbauch, Falten und beginnender Glatze. Er
erhob sich zu voller Größe und auf Zehenspitzen noch ein
wenig darüber hinaus. Er schob sein Gesicht, außer sich
vor Wut, vor das des Gladiators, verzog angeekelt die Nase, als er
dessen Fahne wahrnahm - selbst dorthin, wo ich stand, wehte noch
ein Hauch von Knoblauch und abgestandenem Wein herüber -und
zischte ihn an wie eine Schlange. Der Anblick war völlig
absurd, jämmerlich und alarmierend. Der riesige Gladiator
antwortete mit einem lauten Rülpser und einem Schlag, der den
Einbalsamierer rückwärts gegen den Karren schleuderte.
Man hörte ein durchdringendes Knacken von Holz oder Knochen
oder beidem, und dann brachen sowohl der Karren als auch der
Einbalsamierer zusammen.
    Ich packte Tiros
Ärmel fester. »Hier entlang«, zischte ich und wies
auf eine Lücke, die sich plötzlich in der Menschenmasse
aufgetan hatte. Bevor wir sie erreichen konnten, war sie bereits
wieder von neu herandrängenden Schaulustigen
blockiert.
    Tiro gab ein seltsames
Geräusch von sich. Ich fuhr herum. Sein Gesichtsausdruck war
eher noch seltsamer. Er blickte nach unten. Ich spürte einen
harten, schweren Stoß gegen meine Knöchel. Die Karre
hatte ihren Inhalt auf die Straße entleert. Das Leichentuch
aus Gaze hatte sich entrollt, und der Leichnam war mit dem Gesicht
nach oben vor meine Füße gekullert.
    Es war die Leiche
einer Frau, fast noch ein Mädchen. Sie war blond und
blaß, wie alle blutleeren Leichen blaß sind. Trotz
ihres wachsartigen Fleisches sah sie aus, als sei sie einst eine
bemerkenswerte Schönheit gewesen. Der Sturz hatte ihr Gewand
zerrissen und eine einzelne Brust freigelegt, weiß und hart
wie Alabaster, mit einer Brustwarze von der Farbe verblichener
Rosen.
    Ich warf einen Blick
in Tiros Gesicht, der die Lippen vor spontaner, gedankenloser Lust
geöffnet und doch in den Mundwinkeln aus gleichermaßen
impulsivem Ekel herabgezogen hatte. Ich blickte auf und entdeckte
eine weitere Lücke in der Menschenmenge. Ich machte einen
Schritt darauf zu und zupfte an Tiros Ärmel, aber er blieb wie
angewurzelt stehen. Ich zog fester. Jetzt würde es garantiert
richtigen Ärger geben.
    In diesem Moment
vernahm ich das unverwechselbare metallische Gleiten eines Dolches,
der aus der Scheide gezogen wurde, und in meinem Augenwinkel
blitzte Stahl auf. Nicht einer der Gladiatoren hatte seine Waffe
gezogen - die Gestalt stand auf der anderen Seite der Karre
inmitten der
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