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Das Laecheln der Fortuna - Director s Cut

Das Laecheln der Fortuna - Director s Cut

Titel: Das Laecheln der Fortuna - Director s Cut
Autoren: Rebecca Gabl
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und dann hatte er einen ungewöhnlich aufmerksamen Zuhörer. An diesem Morgen allerdings ließ er sie nur Kopfrechnen üben. Robin war ein bisschen gelangweilt, aber es hielt ihn zumindest wach. In der anschließenden Lateinstunde dagegen kämpfte er fortwährend mit dem Schlaf. Auf der Suche nach Ablenkung sah er wieder und wieder aus dem Fenster in den Obstgarten. Der Spätsommermorgen war heiß und dunstig geworden. Der Tau auf dem Gras und den Blättern der Apfelbäume war längst getrocknet. Still standen sie im warmen, fast messingfarbenen Sonnenlicht, und ihre Äste bogen sich unter ihrer rotgoldenen Last. Der süße Duft der Früchte lockte Wespen in Scharen an. Schon ein bisschen träge tummelten sie sich um das Fallobst im hohen Gras.
    Robin war dankbar für den wenig spektakulären Ausblick. Wenn der Herbstregen einsetzte, würden die Fenster mit Holzläden verschlossen, damit die Feuchtigkeit nicht ungehemmt in den Schulraum eindringen konnte, und sie würden wieder im trüben Halbdunkel bei eisiger Kälte sitzen. Aber noch war es nicht so weit, noch konnte er hinaussehen in den blauen Himmel und über die Felder hinter dem Obstgarten, die größtenteils schon abgeerntet waren. Erntezeit. Zuhause brachten sie jetzt auch das Korn ein. Von früh bis spät würden die Bauern und ihre Familien auf den Feldern sein. Dann kam die Dreschzeit, und wenn das Stroh gebündelt war, kamen die Erntefeste, mit großen Feuern und Tanz und Ausgelassenheit, und das frisch gebraute Bier würde in die Krüge schäumen, und niemand schickte die Kinder ins Bett …
    „Waringham, du gottloser Schwachkopf, was gibt es da draußen so Interessantes zu sehen?“
    Robin fuhr leicht zusammen. „Nichts, Bruder Anthony.“
    „Nichts?“ Der kleine Mönch schritt entschlossen auf ihn zu, sein Habit flatterte ein wenig um seinen hageren Körper. Er warf einen kurzen Blick durch das Fenster. „Warum starrst du dann immerzu hinaus?“
    „Es tut mir leid“, murmelte Robin ohne die geringsten Anzeichen echter Reue und unterdrückte ein Gähnen.
    Bruder Anthonys Lippen waren schmal und weiß, ein sicheres Anzeichen seines Missfallens. „Also, was haben wir denn da draußen? Ich sehe Apfel- und Birnbäume und vier Brüder bei der Obsternte. Ist es das, was dich so fasziniert?“
    Die anderen Jungen lachten leise, ein bisschen nervös vielleicht.
    Robin sagte nichts.
    Bruder Anthony schüttelte verächtlich den Kopf. „Ich versuche, dir ein paar elementare Regeln der Stillehre beizubringen, und du siehst aus dem Fenster. Du glaubst, ein Obstgarten sei interessanter als Vergilius. Du bist ein Taugenichts!“
    Robin sah auf seine Hände. „Ja, Bruder Anthony.“
    „Voll sündiger Gedanken!“
    „Ja, Bruder Anthony.“ Lionel ist da ganz deiner Meinung, dachte er halb grimmig, halb belustigt. Er bemühte sich um eine ausdrucklose Miene.
    „… nach dem Unterricht hierbleiben und die nächsten dreißig Zeilen auswendig lernen. Ich werde dich heute Abend abhören. Besser, du lernst sie gut, Waringham.“
    Robin hatte nur mit halbem Ohr hingehört. Bruder Anthonys wüste Beschimpfungen hatten sich schon lange abgenutzt. Er hörte sie viel zu oft, um ihnen noch besondere Beachtung zu schenken. Doch als die letzten Worte zu ihm vordrangen, sah er entsetzt in das kantige Gesicht mit den scharfen, hellblauen Augen auf. „Aber …“
    „Ja? Was wolltest du sagen, Schwachkopf?“
    Er biss sich auf die Unterlippe. Heute Nachmittag wäre er an der Reihe gewesen, mit Bruder Cornelius nach Posset zu fahren. Es lag etwa drei Meilen westlich des Klosters, und im Vergleich zu Curn war Posset eine Metropole. Dort gab es einen Markt, auf dem das wenige eingekauft wurde, das die Brüder nicht selber herstellten, wie Wolle, zum Beispiel. Jede Woche durfte einer der älteren Schüler Bruder Cornelius begleiten. Es gehörte zu den wenigen Abwechselungen in ihrem tristen, streng geregelten Internatsleben, und sie fieberten dem Ausflug schon Wochen im Voraus entgegen. Bruder Cornelius, der Cellarius, war ein gutmütiger, fettleibiger Mönch, dessen Tonsur mit den Jahren zu einer großen, glänzenden Glatze geworden war, umgeben von einem schmalen Kranz grauer Zotteln. Er war so ganz anders als Bruder Anthony und die übrigen Lehrer. Er ließ die Jungen den Wagen lenken, ließ sie unbeaufsichtigt und länger als nötig in dem bunten Treiben auf dem Markt herumstreunen, schwatzte einem Bäcker ein paar Honigkuchen für seine ewig ausgehungerten Begleiter ab,
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