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Das Labyrinth

Das Labyrinth

Titel: Das Labyrinth
Autoren: Martin Cruz Smith
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Spannungsregler: Rudi hatte also seinen Laptop-Computer auch in der Wohnung benutzt. Die Schubladen enthielten Büroklammern, Bleistifte, Briefpapier aus Rudis Hotelkiosk, Rechnungsbücher und Quittungen.
    Minin öffnete einen Kleiderschrank, schob amerikanische Trainings- und italienische Maßanzüge beiseite. »Durchsuchen Sie die Taschen«, sagte Arkadi. »Untersuchen Sie die Schuhe.«
    Selbst die Unterwäsche in der Kommode im Schlafzimmer trug ausländische Etiketten. Auf dem Fernsehapparat eine Kleiderbürste. Auf dem Nachttisch Videokassetten mit Reisefilmen, eine Schlafmaske aus Satin und ein Wecker.
    Eine Schlafmaske ist genau das, was Rudi jetzt braucht, dachte Arkadi. Sicher, aber nicht narrensicher - war es das, was er Rudi gesagt hatte? Warum glaubte ihm überhaupt noch jemand?
    Eine der Straßenkehrerinnen war ihm so leise gefolgt, als trüge sie Filzpantoffeln. Sie sagte: »Olga Semjonowna und ich haben eine gemeinsame Wohnung. Die anderen Zimmer werden von Armeniern und Turkmenen bewohnt. Sie sprechen nicht miteinander.«
    »Armenier und Turkmenen? Ihr könnt von Glück sagen, daß sie sich nicht gegenseitig umbringen«, meinte Arkadi. Er öffnete das Schlafzimmerfenster, um einen Blick auf die Garage im Hof zu werfen. Nichts hing draußen am Sims. »Die Wohngemeinschaft ist der Tod der Demokratie.« Er dachte darüber nach. »Und natürlich bedeutet die Demokratie den Tod der Wohngemeinschaft.«
    Minin trat ins Zimmer. »Ich bin ganz der Meinung des Chefinspektors. Was wir brauchen, ist eine feste Hand.«
    Die Straßenkehrerin sagte: »Sie können sagen, was Sie wollen - früher herrschte hier Ordnung.«
    »Eine rauhe Ordnung, aber sie funktionierte«, sagte Minin, und beide wandten sich Arkadi so erwartungsvoll zu, daß er sich vorkam wie eine Heiligenbüste.
    »Zugegeben, an Ordnung herrschte kein Mangel«, sagte er.
    Auf dem Schreibtisch füllte Arkadi das Untersuchungsprotokoll aus: Datum, sein Name, in Anwesenheit von - hier trug er die Namen und Adressen der beiden Frauen ein -, laut Durchsuchungsbefehl Nummer soundso die Wohnung des Bürgers Rudik Abramowitsch Rosen, Apartment 4a in der Donskaja-Straße 25, betreten.
    Arkadis Blick fiel wieder auf das Faxgerät. Es hatte Tasten mit englischer Beschriftung - zum Beispiel »Redial«. Er nahm den Telefonhörer ab und drückte. Ein Summen, ein Läuten, eine Stimme.
    »Feldman.«
    »Ich rufe im Auftrag von Rudi Rosen an«, sagte Arkadi.
    »Warum meldet er sich nicht selbst?«
    »Das   erkläre   ich   Ihnen,   wenn   wir miteinander sprechen.«
    »Haben Sie nicht angerufen, um mit mir zu sprechen?«
    »Wir sollten uns treffen.«
    »Ich habe keine Zeit.«
    »Es ist wichtig.«
    »Ich will Ihnen sagen, was wichtig ist. Die LeninBibliothek soll geschlossen werden. Sie bricht zusammen. Das Licht wird abgeschaltet, die Räume werden verschlossen. Sie wird ein Grabmonument wie die Pyramiden in Gizeh.«
    Arkadi war überrascht, daß sich jemand aus Rudis Bekanntenkreis Sorgen um den Zustand der LeninBibliothek machte. »Wir müssen trotzdem miteinander sprechen.«
    »Ich arbeite bis spät in die Nacht.«
    »Wann immer Sie wollen.«
    »Vor der Bibliothek, morgen um Mitternacht.«
    »Um Mitternacht?«
    »Wenn die Bibliothek nicht über mir zusammenfällt.«
    »Wie schrieb sich Ihr Name noch?«
    »Feldmann. Professor Feldmann.« Er gab gleich auch noch seine Telefonnummer durch und hängte ein.
    Arkadi legte den Hörer auf die Gabel. »Toller Apparat.«
    Minin hatte ein für sein Alter bitteres Lachen. »Die Spurensicherung räumt sicher die gesamte Wohnung leer, und wir könnten ein Faxgerät gut brauchen.«
    »Nein. Wir lassen alles so, wie es war, besonders das Faxgerät.«
    »Auch die Lebensmittel und den Alkohol?«
    »Alles.«
    Die Augen der zweiten Straßenkehrerin wurden größer. Die Schuld ließ sie auf die Vanille-Eistropfen starren, die über den Orientteppich zum Kühlschrank und wieder zurück führten.
    Minin riß das Tiefkühlfach auf. »Sie muß das Eis gegessen haben, als wir ihr den Rücken kehrten. Und die Schokolade ist auch weg.«
    »Olga Semjonowna!« Ihre Kollegin war ebenfalls entrüstet.
    Die Beschuldigte zog die Hand aus der Tasche, das Gewicht der belastenden Schokoladentafel schien sie fast zu Boden zu drücken. Tränen flossen die Falten ihres Gesichts hinunter und fielen von ihrem zitternden Kinn, als hätte sie einen silbernen Kelch von einem Altar gestohlen. Schrecklich, dachte Arkadi. So weit ist es mit uns gekommen,
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