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Das Labyrinth

Das Labyrinth

Titel: Das Labyrinth
Autoren: Martin Cruz Smith
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daß eine alte Frau wegen einer Tafel Schokolade in Tränen ausbricht. Wie hätte sie der Versuchung widerstehen können? Schokolade war ein exotischer Mythos, ein Hauch der Geschichte, ähnlich wie die Azteken.
    »Was meinen Sie also?« fragte Arkadi Minin. »Sollen wir sie festnehmen? Oder nicht festnehmen, aber zusammenschlagen? Oder einfach laufenlassen? Es wäre ernster, wenn sie auch noch die Saure Sahne genommen hätte. Ich möchte wissen, wie Sie darüber denken.« Arkadi war wirklich neugierig zu erfahren, wie verbohrt sein Assistent war.
    »Ich denke«, sagte Minin, »wir könnten sie diesmal noch laufenlassen.«
    »Wenn Sie meinen.« Arkadi wandte sich an die Frauen: »Bürgerinnen, das bedeutet allerdings, daß ihr beide den Rechtsorganen jetzt noch etwas mehr helfen müßt.«
    Russische Garagen waren Mysterien, da Stahlplatten grundsätzlich nicht an Privatleute verkauft werden durften. Dennoch tauchten aus Stahlplatten errichtete Garagen auf geradezu magische Weise immer wieder in Hinterhöfen und kleinen Nebenstraßen auf, und das gleich reihenweise. Rudi Rosens zweiter Schlüssel öffnete das Mysterium hinter dem Haus. Arkadi rührte die von der Decke hängende Glühbirne nicht an. Im Tageslicht erkannte er eine Werkzeugkiste, Kanister mit Motoröl, Scheibenwischer und Rückspiegel sowie verschiedene Planen, um den Wagen im Winter zusätzlich noch zuzudecken. Unter den Planen lagen Reifen - nichts Ungewöhnliches. Später konnten Minin und die Beamten der Spurensicherung die Glühbirne und den Boden untersuchen. Die Straßenkehrerinnen standen die ganze Zeit schüchtern in der offenen Tür und wagten nicht einmal, einen Radmutterschlüssel mitgehen zu lassen.
     
    Warum war er weder müde noch hungrig? Arkadi glich einem Mann, der Fieber hatte, ohne eigentlich krank zu sein. Als er Jaak in der Eingangshalle des Intourist Hotels traf, schluckte der gerade Koffeintabletten, um wach zu bleiben.
    »Gari redet nichts als Scheiß«, sagte Jaak. »Ich kann mir nicht vorstellen, daß Kim Rudi umgebracht hat. Er war sein Leibwächter. Himmel, ich bin so müde, Kim könnte mich erschießen, ohne daß ich es mitbekäme. Er ist nicht hier.«
    Arkadi sah sich in der Halle um. Am anderen Ende führte eine Drehtür auf die Straße und zum Pepsi-Stand draußen, der zu einem der Kontaktplätze der Moskauer Prostituierten geworden war. Innen achteten mehrere Sicherheitsbeamte sorgfältig darauf, daß nur Huren hereingelassen wurden, die zahlten. Im grottenähnlichen Dunkel warteten Touristen auf einen Bus, sie warteten schon länger und saßen unbeweglich da wie verlorene Gepäckstücke. Die Informationsstände waren nicht nur leer, sondern schienen dem ewigen Mysterium von Stonehenge zu folgen: Warum nur waren sie errichtet worden? Der einzig belebte Abschnitt der Halle befand sich rechts, wo ein pseudospanischer Innenhof unter einem Oberlicht die Aufmerksamkeit auf die Tische einer Bar und den Edelstahlglanz von Spielautomaten lenkte.
    Rudis Hotelkiosk hatte die Größe eines mittleren Kleiderschranks. In einer Vitrine waren Postkarten mit Ansichten von Moskau, von Klöstern und pelzbesetzten Kronen toter Fürsten ausgestellt. An der Rückwand hingen Schnüre mit Bernsteinklumpen und bunte, bäuerliche Umhangtücher. Auf den Seitenregalen standen handbemalte Holzpuppen in wachsender Größe neben Plaketten für Visa, MasterCard und American Express.
    Jaak öffnete die Glastür. »Ein Preis für Kreditkarten«, sagte er. »Der halbe Preis für Barzahler. Wenn man bedenkt, daß Rudi die Puppen von irgendwelchen Idioten für Rubel eingekauft hat, muß er einen Profit von tausend Prozent gemacht haben.«
    »Niemand hat Rudi wegen der Puppen ermordet«, sagte Arkadi. Ein Taschentuch um die Hand gewickelt, öffnete er die Kassenlade und durchblätterte ein Rechnungsbuch. Nur Zahlen, keinerlei Notizen. Minin würde noch einmal mit der Spurensicherung herkommen müssen.
    Jaak räusperte sich und sagte: »Ich hab eine Verabredung. Ich sehe dich in der Bar.«
    Arkadi schloß den Kiosk wieder ab und ging über den Innenhof zu den Spielautomaten. Unter Instruktionen in englisch, spanisch, deutsch, russisch und finnisch drehten sich Abbildungen von Karten, Pflaumen, Glocken und Zitronen. Die Spieler waren ausnahmslos Araber, die lustlos von einem Automaten zum anderen schlenderten, orangerote Dosen mit »SiSi«-Sodawasser absetzten und Spielmarken zu kleinen Stapeln aufhäuften. In der Mitte des Raumes schüttete ein Angestellter
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