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Das Labyrinth der Ratten

Das Labyrinth der Ratten

Titel: Das Labyrinth der Ratten
Autoren: Philip K. Dick
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fragte Lilo.
    Er hob verblüfft den Kopf.
    »Ich mache keine Witze«, sagte Lilo. »Warte keine fünfzig Jahre ...«
    »Eher vierzig, schätze ich.«
    »Das ist zu lang. Guter Gott, du wirst über Siebzig sein!«
    »Na gut.«
    »Meine Droge«, sagte Lilo leise. »Du erinnerst dich. Sie ist für deinen Gehirnmetabolismus oder was weiß ich tödlich – jedenfalls drei Tabletten davon, und dein Vagusnerv würde abschalten, und du würdest sterben.«
    »Das ist sehr wahr«, erwiderte er nach einer Pause.
    »Ich versuche nicht, grausam zu sein. Oder rachsüchtig. Aber – ich glaube, es wäre klüger, vernünftiger, die bessere Wahl, drei Tabletten Formophan zu nehmen, als vierzig bis fünfzig Jahre zu warten, ein Leben zu ertragen, das überhaupt keinen Sinn hat.«
    »Laß mir Zeit zum Nachdenken. Gib mir zwei Tage.«
    »Schau«, sagte Lilo, »du würdest nicht nur sofort zu ihr kommen, sondern du würdest deine Probleme ebenfalls so lösen, wie sie sie gelöst hat. Damit hättest du auch das mit ihr gemeinsam.« Sie lächelte grimmig. Haßerfüllt. »Ich gebe dir sofort drei Tabletten Formophan«, sagte sie und verschwand im anderen Zimmer.
    Er saß am Küchentisch und starrte auf seine Frühstücksflocken, und rasch war sie wieder da. Hielt ihm etwas hin.
    Er hob die Hand, griff nach den Tabletten, ließ sie in die Brusttasche seiner Pyjamajacke fallen.
    »Gut«, sagte Lilo. »Das ist also entschieden. Jetzt kann ich mich anziehen und für den Tag fertigmachen. Ich glaube, ich spreche mit der sowjetischen Botschaft. Wie hieß der Mann? Kerensky?«
    »Kaminsky. Er ist der entscheidende Mann dort.«
    »Ich erkundige mich über ihn, ob sie mich zurücknehmen. Sie haben in Breschnewgrad ein paar Idioten, die sie als Medien verwenden, doch sie taugen nichts – laut KACH.« Sie schwieg kurze Zeit. »Aber natürlich ist es nicht so wie vorher. Es wird nie mehr so sein.«

    31

    Er hielt die drei Tabletten Formophan in der Hand und betrachtete das hohe, kühle Glas Tomatensaft vor sich auf dem Tisch. Er versuchte – so, als ginge das wirklich – sich vorzustellen, wie es sein würde, wenn er die Tabletten hier und jetzt schluckte, während sie – das Mädchen im Schlafzimmer, wie sie auch heißen mochte – sich anzog.
    Während sie sich anzog, starb er. So einfach. So einfach jedenfalls für die mühelose Fähigkeit des psychopathisch gewandten menschlichen Verstandes, jede beliebige Szene zu fabrizieren.
    Lilo blieb an der Schlafzimmertür stehen, im grauen Wollrock und Unterhemd, barfuß. Sie sagte: »Wenn du es tust, werde ich nicht trauern und vierzig Jahre herumhängen, um auf den Zeitkrümmungsgenerator zu warten, damit ich dahin zurückgehen kann, als du am Leben warst. Ich möchte, daß dir das klar ist, Lars, bevor du es tust.«
    »Okay.« Er hatte nichts anderes erwartet, und darum spielte es keine Rolle.
    Lilo blieb an der Tür stehen, beobachtete ihn und sagte: »Oder vielleicht tue ich es doch.«
    Es schien ihm, daß dieser Ton nicht gekünstelt war. Sie überlegte es sich ernsthaft, wie sie empfinden würde, wie es sein mochte.
    »Ich weiß nicht«, sagte sie. »Es hängt wohl davon ab, ob Foks-Ost mich wieder aufnimmt. Und wenn ja, wie mein Leben dort aussähe. Wenn es so wäre, wie man mich vorher behandelt hat ...« Sie dachte nach. »Das könnte ich nicht ertragen, und ich würde wieder daran denken, wie es hier bei dir war. Also würde ich es vielleicht doch tun; ja, ich glaube, ich würde anfangen, um dich zu trauern, so, wie du es um sie tust.« Sie sah wach zu ihm auf. »Überleg dir das, bevor du das Formophan nimmst.«
    Er nickte zustimmend; das mußte bedacht werden.
    »Ich bin hier wirklich glücklich gewesen«, sagte Lilo. »Es war ganz anders als das Leben in Breschnewgrad. Das furchtbare ›Luxus‹-Apartment, das ich hatte – du hast es nie gesehen, aber es war häßlich. Foks-Ost ist eine Welt ohne Geschmack.«
    Sie kam auf ihn zu.
    »Ich will dir etwas sagen. Ich habe es mir anders überlegt. Wenn du noch willst, übernehme ich das Büro in Paris.«
    »Soll heißen?«
    »Soll heißen«, sagte Lilo ruhig, »daß ich genau das mache, was ich abgelehnt habe. Ich übernehme ihren Platz. Nicht um deinet-, sondern um meinetwillen, damit ich nicht wieder in einer kleinen Wohnung in Breschnewgrad lande.« Sie zögerte, dann sagte sie: »Damit ich nicht dort lande, wo du jetzt bist, im Schlafanzug, die Tabletten in der Hand, während du zu entscheiden versuchst, ob du die vierzig Jahre warten oder
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