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Das krumme Haus

Das krumme Haus

Titel: Das krumme Haus
Autoren: Agatha Christie
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zurück, die mich beunruhigt hatte. »Warum sagtest du, du hättest Angst?«, fragte ich.
    Sophia schauderte ein wenig und presste die Hände zusammen. »Es ist sehr wichtig, dass ich es dir verständlich mache«, antwortete sie leise. »Du musst wissen, Charles, wir sind eine merkwürdige Familie. Es ist viel Grausamkeit in uns, verschiedene Arten von Grausamkeit. Gerade die verschiedenen Arten sind so schlimm.«
    Offenbar spiegelte mein Gesicht Verständnislosigkeit; denn sie fuhr ganz konzentriert fort: »Ich will versuchen, mich klar auszudrücken. Großvater zum Beispiel. Als er uns einmal von seiner Jugend in Smyrna erzählte, erwähnte er ganz beiläufig, dass er zwei Männer erstochen habe. Es hatte eine Schlägerei gegeben – wegen irgendeiner angeblich unverzeihlichen Beleidigung, genau weiß ich es nicht mehr –, und das Ganze war für ihn durchaus natürlich. Er hatte es eigentlich längst vergessen. Aber irgendwie war es seltsam, so etwas ganz beiläufig in England zu hören.«
    Ich nickte.
    »Da hast du die eine Art. Und nun meine Großmutter. Ich erinnere mich nur dunkel an sie; aber es wurde viel von ihr gesprochen. Ich glaube, sie hatte jene Grausamkeit, die von völliger Fantasielosigkeit herrührt. All die Jäger-Vorfahren, die alten Generäle vom Niederknalltyp. Voller Selbstherrlichkeit und Anmaßung und ohne Verantwortungsgefühl, wenn es sich um Leben oder Tod handelt.«
    »Ist das nicht etwas übertrieben?«
    »Ja, vielleicht; aber vor diesem Typ hatte ich immer Angst. Er ist geradeheraus, doch grausam. Und dann meine Mutter. Sie ist Schauspielerin, sie ist sehr lieb; aber sie hat gar kein Gefühl für Proportionen. Sie gehört zu jenen unbewussten Egoisten, die die Dinge nur in Beziehung zu sich selbst sehen. Das ist manchmal erschreckend. Und dann ist da Clemency, Onkel Rogers Frau. Sie ist Wissenschaftlerin – sie gibt sich mit sehr wichtigen Untersuchungen ab –, und auch sie ist grausam auf eine kaltblütige, unpersönliche Art. Onkel Roger ist das genaue Gegenteil, der freundlichste, liebenswürdigste Mensch von der Welt; aber er ist jähzornig. Wenn er aus irgendeinem Grund in Wut gerät, weiß er nicht, was er tut. Und Vater…«
    Sie machte eine lange Pause. »Mein Vater hat fast zu viel Selbstbeherrschung. Man weiß nie, was er denkt. Er zeigt nie eine Gemütsbewegung. Vielleicht aus unbewusster Selbstverteidigung gegen Mutters Gefühlsorgien. Doch bisweilen macht mir das Kummer.«
    »Mein liebes Kind«, fiel ich ein, »du regst dich ganz unnötig auf. Das Ende vom Lied ist, dass jeder eines Mordes fähig wäre.«
    »Das stimmt. Auch ich.«
    »Du nicht!«
    »Doch, Charles, du kannst mit mir keine Ausnahme machen. Ich glaube, ich könnte jemanden ermorden…« Sie schwieg ein Weilchen und fügte dann hinzu: »Aber dann müsste es sich wirklich lohnen!«
    Ich musste wider Willen lachen, und Sophia lächelte.
    »Vielleicht bin ich eine Närrin«, sagte sie; »aber wir müssen die Wahrheit herausfinden. Wir müssen. Wenn es doch Brenda wäre…«
    Ich empfand plötzlich Mitleid mit Brenda Leonides.

5
     
    E ine große Gestalt kam mit forschem Schritt auf uns zu. Sie trug einen abgeschabten Filzhut, eine formlose Bluse und ein schlecht sitzendes Jerseykostüm.
    »Tante Edith«, sagte Sophia.
    Die Gestalt blieb ein paar Mal stehen und bückte sich zu einem Blumenbeet; dann gesellte sie sich zu uns. Ich stand auf.
    »Darf ich dir Charles Hayward vorstellen, Tante Edith? Meine Tante, Miss de Haviland.«
    Edith de Haviland war ungefähr siebzig Jahre alt. Sie hatte dichtes, unordentliches graues Haar, ein wettergegerbtes Gesicht und einen klugen, durchdringenden Blick.
    »Guten Tag«, begrüßte sie mich. »Ich hörte schon von Ihnen. Wie geht es Ihrem Herrn Vater?«
    Etwas erstaunt antwortete ich, es gehe ihm gut.
    »Ich kannte ihn, als er noch ein Kind war«, sagte Miss de Haviland. »Kannte auch seine Mutter sehr gut. Sie sehen ihr übrigens ähnlich. Wollen Sie uns helfen, oder ist das Gegenteil der Fall?«
    »Ich hoffe, helfen zu können«, erwiderte ich leicht verlegen.
    Sie nickte. »Wir können Hilfe brauchen. Das ganze Haus wimmelt von Polizeileuten. Ich liebe diese Sorte nicht. Ein Junge, der eine anständige Schule besucht hat, geht nicht zur Polizei.« Sie wandte sich an Sophia: »Nannie fragte nach dir, Sophia. Wegen der Fische.«
    »Ich werde telefonieren«, sagte Sophia und kehrte schnell zum Haus zurück. Miss de Haviland drehte sich um und ging mit mir langsam in
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