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Das krumme Haus

Das krumme Haus

Titel: Das krumme Haus
Autoren: Agatha Christie
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Meinung gebildet zu haben.
    »Was hindert Sie daran, Mrs Leonides zu verdächtigen?«, fragte ich ihn.
    »Wenn sie es getan hat, wäre es ein Leichtes für sie gewesen, die Flasche mit Insulin nachzufüllen. Ich kann mir nicht vorstellen, aus welchem Grunde sie das unterlassen haben sollte.«
    »Ja, das leuchtet mir ein. Ist viel Insulin im Haus?«
    »O ja, es stehen leere und volle Flaschen herum. Hätte sie die Flasche nachgefüllt, so wäre der Arzt kaum dahinter gekommen. Bei der Autopsie lässt sich eine Eserinvergiftung schwer nachweisen. Aber als er das Insulin untersuchte, um festzustellen, ob die Zusammensetzung vielleicht zu stark war, entdeckte er, dass die fragliche Flasche überhaupt kein Insulin enthielt.«
    »Es scheint also, dass Mrs Leonides entweder sehr dumm oder sehr gescheit vorging.«
    »Sie meinen…«
    »Sie hat vielleicht damit gerechnet, dass Sie keinen Menschen für so dumm halten würden, wie sie es gewesen zu sein scheint. Ist denn sonst noch jemand verdächtig?«
    Mein Vater sagte: »Praktisch kann es jeder im Hause getan haben. Es war immer ein großer Insulinvorrat vorhanden, ungefähr für zwei Wochen. Man könnte eine der Flaschen mit Eserin gefüllt und an den Platz zurückgestellt haben, weil man ja wusste, dass sie irgendwann einmal an die Reihe kommen würde.«
    »Und jeder konnte an das Insulin ran?«
    »Die Flaschen wurden nicht weggeschlossen. Sie standen im Medizinschränkchen eines Badezimmers, das zur Wohnung des alten Herrn gehörte. Jeder im Hause kam und ging, wie es ihm passte.«
    »Liegt ein Motiv vor?«, forschte ich weiter.
    Mein Vater seufzte.
    »Mein lieber Junge, Aristide Leonides war ungeheuer reich. Er hatte sein Vermögen zu einem guten Teil seinen Angehörigen abgetreten; aber es könnte ja sein, dass jemand noch mehr haben wollte.«
    »Jedenfalls steht die junge Witwe jetzt am besten da. Hat der Hauslehrer Geld?«
    »Nein, er ist arm wie eine Kirchenmaus.«
    In meinem Kopf klickte etwas. Ich erinnerte mich plötzlich an Sophias Zitat, und da fiel mir auch der ganze Vers des Kinderliedes wieder ein:
     
    Es war einmal ein krummer Mann, der ging ‘ nen krummen Weg
    Da fand er ‘ nen krummen Heller an einem krummen Steg.
    Er hatt ’ eine krumme Katz ’ , die fing ‘ ne krumme Maus,
    Und alle lebten sie zusammen in einem krummen Haus.
     
    Ich sagte zu Taverner: »Wie finden Sie Mrs Leonides? Was halten Sie von ihr?«
    »Schwer zu sagen«, antwortete er gedehnt. »Kein einfacher Mensch. Sehr ruhig – man weiß also nicht recht, was in ihr vorgeht. Aber sie liebt ein angenehmes Leben, darauf könnte ich schwören. Brenda Leonides erinnert mich irgendwie an eine träge, schnurrende Katze. Nicht dass ich etwas gegen Katzen hätte…« Er seufzte. »Aber wir bräuchten eben einen Beweis.«
    Dann wäre uns allen geholfen, dachte ich, dann wäre alles gut.

4
     
    A m folgenden Tage begab ich mich mit Chefinspektor Taverner zum »krummen Haus«.
    Ich befand mich in einer seltsamen Lage. Zu Beginn des Krieges hatte ich öfter für die Spezialabteilung von Scotland Yard gearbeitet, und jetzt hatte mein Vater zu mir gesagt: »Wenn wir diesen Fall lösen wollen, müssen wir alles über die Verwandten wissen. Wir müssen sie von innen kennen, nicht von außen. Du bist derjenige, der da einiges für uns in Erfahrung bringen kann.«
    Das hatte mir keineswegs zugesagt, und meine Erwiderung war dementsprechend scharf ausgefallen: »Bin ich ein Spitzel? Soll ich von Sophia Informationen einholen, der Frau, die ich liebe und die mich liebt und mir vertraut?«
    Mein Vater war ärgerlich geworden: »Nimm doch Vernunft an. Oder glaubst du etwa, dass sie ihren Großvater ermordet hat?«
    »Lächerlich! Natürlich nicht.«
    »Wir glauben es auch nicht. Sie war jahrelang fort, sie hatte immer ein ausgezeichnetes Verhältnis zu ihm. Sie verfügt über ein großes Einkommen, und er wäre wohl, nehme ich an, über eure Verlobung sehr erfreut gewesen und hätte ihr sicher ein schönes Hochzeitsgeschenk in Gestalt einer großzügig bemessenen Geldsumme gemacht. Warum sollten wir sie also verdächtigen? Hingegen wird sie dich, solange dieses Verbrechen nicht aufgeklärt ist, nicht heiraten wollen. Das hast du selbst angedeutet, und es passt zu ihrem Charakter. Und bedenke, dass ein solches Verbrechen manchmal nie aufgeklärt wird. Es ist möglich, dass Mrs Leonides und der Hauslehrer unter einer Decke stecken; aber das zu beweisen, ist eine andere Sache. Du siehst doch ein, dass wir
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