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Das Kreuz der Kinder

Das Kreuz der Kinder

Titel: Das Kreuz der Kinder
Autoren: Peter Berling
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könne. Rik
zog sich auf die einsame Terrasse zurück, wo immer noch
die Öllichter brannten, und erbrach das Siegel des
Schreibens.

Das Herz des Emirs
Der letzte Brief des Kazar Al-Mansur
    Bismillah arrahman arrahim.
Es ist einsam geworden auf dem Felsen von Mahdia,
    Rik, lieber Freund. Still und reglos erstreckt sich zu
meinen Füßen das Gräberfeld. Zu hören ist nur das
Kreischen der Möwen, die unruhig über dem
Hafenbecken kreisen und vergebens auf Fischabfälle
warten, die ihnen einst anlandende Fischer hinwarfen.
Wer ist mir sonst geblieben? Ein, zwei Dutzend
Wächter und ebensoviele Diener, die einen verwaisten
Harem bewachen, Türen, hinter denen niemand mehr
weilt, Treppen, die keiner hinaufsteigt. Eine
Palastküche, die nicht weiß, für wen sie kochen soll, ein
Hamam, den es nicht lohnt zu beheizen. Anfangs habe
ich mich noch seinen Dämpfen hingegeben, habe mich
täglich vom Rais al-Hamam durchwalken lassen, um
mich zu zerstreuen, zu träumen, bis mich der kalte Guß
des rasha bardi in die trostlose Wirklichkeit zurückriß.
Die Ma’Moa ist untröstlich ob ihrer entschwundenen
Tochter, sie schiebt den feisten Krüppel auf seinem
Wägelchen über die menschenleeren Gänge, als sei es
ihr Kind.
    Eine Zeitlang spielte ich mit dem Gedanken, Mustafa,
den einst gefeierten Verfasser von Liebesschwüren, mit
der Niederschrift des Briefes zu betrauen, doch habe ich
diese Lösung schließlich verworfen. Ist er nicht auch
ein Opfer unserer vermessenen Idee, unser Schicksal
nachträglich wie ein Chirurgos zu sezieren und aus den
Eingeweiden unserer Seelen entnehmen zu wollen, wir
hätten zu irgendeinem Zeitpunkt unser Los selber und
anders bestimmen können? Allah hat uns gestraft.
Nur die Styrum ist vielleicht zu ihrem Hadj Zahi
Ibrahim nach Tunis so unverändert zurückgekehrt, wie
sie dereinst zu uns gestoßen war, doch hatte nicht
›Armin‹ schon zuvor an der Bürde ihrer zwiespältigen
Körperlichkeit genug zu tragen!?
Von Alekos, dem dichtenden Schankknecht, hörte ich,
daß sein Hakim Oliver sich mit dem Gedanken trage, in
die Dienste des Hafsiden zu treten, der wohl für die
Gebrechen des Alters Vorsorgen will, daß er einen
Leibarzt ständig um sich wünscht. Mag auch sein, daß
seine Frau Elgaine – gerade nach dem Wiederaufkochen
ihrer höfischen Vergangenheit im brodelnden Topf der
›Chronik‹ – keine Lust mehr verspürt, einzig ihrem
Mann zur Hand zu gehen, wenn der am Rand der Wüste
durchziehende Nomaden ärztlich versorgt.
Daniel und Marius sind nach El-Djem zurückbeordert
worden, wo der Mönch Rosen schneidend darum beten
sollte, daß die noch ausstehende Prügelstrafe in
Vergessenheit geraten möge – verdient hat er sie
allemal, schon für seine Klaue als Schreiber! ihrem
Mussa’ad Daniel hingegen soll die tüchtige Sajidda
Blanche dem Vernehmen nach jetzt ihre ›Memoiren‹
als kindliche ›Huri von Saint-Denis‹ diktieren, um dem
Hafsiden eine Freude zu machen, denn Abdal liebt
solche Geschichten über alles! Vielleicht das
Geheimnis dieser ungewöhnlichen Ehe! Mit dem
Fortgang von Timdal, den gewiß in der Fremde ein
erstrebenswerteres Los erwartet, als nochmals in die
fleischigen Pranken des Eunuchen von Tunis zu geraten
und mit der unvermeidlichen Abreise von Miriam,
deren Ehemann eine erstaunliche Geduld besitzen muß,
um auf sein schönes Weib so lange zu verzichten, hat
unsere ›Chronik‹ nun endgültig ihren Abschluß
gefunden. Der Beitrag, den der stets freundliche und
hilfsbereite Mohr für ihr Gelingen geleistet, allein
schon durch seine muntere, aufmunternde Art, war für
mich so außerordentlich wertvoll, daß ich ihm gern ein
Geschenk zum Abschied machen würde – vielleicht
sollte ich ihm die kleine Aisha zur Frau geben.
Kein auch nur im geringsten angemessener Dank fällt
mir für Dich ein, Rik, der Du an meiner Seite standest
in den schwersten Stunden meines Lebens, ebenso
selbstverständlich wie zu dem Zeitpunkt, als wir den
Entschluß faßten, den Weg von Melusine zu mir in
allen seinen Stationen aufzuzeichnen. Es sollte ein
liebenswertes Kinderbuch werden für einen wachen
Knaben, der ohne Mutter, ja ohne sie je gekannt zu
haben, aufwachsen mußte. Es wurde eine
schonungslose Enthüllung unseres Innersten.
Du, Rik, wirfst Dir Versagen vor? Versagt hat hier nur
einer, das bin ich – begonnen mit meinem
unverzeihlichen Zuspätkommen, das in seinem Gefolge
zum vermeidbaren Tod von Melusine führte.
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